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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Unruhe und mit einem wachsenden Gefühl der Gefahr, war Anna Andrejewna kaum in der Lage, den alten Herrn zu zerstreuen; indes hatte seine Unruhe bedrohliche Ausmaße angenommen. Er hatte absonderliche und ängstliche Fragen gestellt, hin und wieder mißtrauische Blicke sogar auf sie geworfen und war mehrmals in Tränen ausgebrochen. Der junge Werssilow war nicht lange bei ihm geblieben. Danach hatte Anna Andrejewna endlich Pjotr Ippolitowitsch geholt, auf den sie so große Hoffnungen setzte, aber dieser hatte nicht das leiseste Gefallen, sondern eher Widerwillen erweckt. Der Fürst betrachtete Pjotr Ippolitowitsch überhaupt mit wachsendem Mißtrauen und Argwohn. Und der Hausherr verbreitete sich schon wieder über Spiritismus und irgendwelche Zaubertricks, die er angeblich bei einer Aufführung gesehen hätte, und zwar soll ein reisender Scharlatan vor versammeltem Publikum Menschen die Köpfe abgeschnitten haben, das Blut wäre in Strömen geflossen, um dann, wie alle gesehen hätten, die Köpfe wieder auf die Hälse zu setzen, bis sie alle wieder angewachsen wären, gleichfalls vor besagtem Publikum, und das Spektakel habe im Jahre achtzehnhundertundneunundfünfzig stattgefunden. Der Fürst erschrak und entrüstete sich derart, daß Anna Andrejewna sich gezwungen sah, den Erzähler unverzüglich zu entfernen. Glücklicherweise wurde im selben Augenblick das Mittagsmahl gebracht, das am Vortag irgendwo in der Nähe (durch Lamberts und Alphonsinkas Vermittlung) bei einem vorzüglichen französischen Koch bestellt worden war, der sich im Moment ohne Stellung nach einer Beschäftigung in einem aristokratischen Haushalt oder einem Club umsah. Das Essen mit Champagner heiterte den alten Herrn außerordentlich auf; er speiste reichlich und mit Genuß und war sehr leutselig. Nach dem Essen wurde ihm natürlich der Kopf schwer, und er wünschte zu ruhen, aber da er immer nach dem Essen zu ruhen pflegte, hatte Anna Andrejewna bereits sein Lager gerichtet. Schon im Halbschlaf küßte er unentwegt ihre Hände und sagte, sie sei sein Paradies, seine Hoffnung, seine Huri, die »goldene Blume«, mit einem Wort, er erging sich in denkbar orientalischen Komplimenten. Endlich schlief er ein, und gerade da kam ich zurück.
    Anna Andrejewna kam in großer Eile zu mir herein, faltete vor mir die Hände und sagte, daß sie »nicht mehr um ihrer selbst, sondern um des Fürsten willen mich anfleht, nicht fortzugehen und, sobald er wach ist, mich zu ihm zu setzen. Ohne Sie ist er verloren, er erleidet einen Nerven-Choc; ich fürchte, er wird diese Nacht nicht überleben …« Sie fügte hinzu, daß sie unbedingt ausgehen müsse, »vielleicht sogar für zwei Stunden, und den Fürsten mir als einzigem anvertrauen«. Ich gab ihr sogleich mit größter Bereitwilligkeit mein Wort, daß ich bis zum Abend bleiben und nach seinem Erwachen mir die größte Mühe geben würde, ihn zu unterhalten.
    »Und ich werde meine Pflicht erfüllen!« schloß sie energisch.
    Sie ging. Ich greife vor: Sie fuhr aus, um persönlich nach Lambert zu suchen; das war ihre letzte Hoffnung; außerdem suchte sie ihren Bruder und ihre Verwandtschaft auf, die Fanariotows; man kann sich die Gemütsverfassung vorstellen, in der sie zurückkehren mußte.
    Der Fürst erwachte ungefähr eine Stunde, nachdem sie gegangen war. Ich hörte sein Stöhnen durch die Wand und eilte sofort zu ihm; ich fand ihn auf dem Bett sitzend, im Schlafrock, aber dermaßen erschrocken durch die Verlassenheit, durch das Licht der einsamen Lampe und das fremde Zimmer, daß er, als ich bei ihm eintrat, auffuhr und schrie. Ich stürzte zu ihm, und als er erkannte, daß ich es war, umarmte er mich unter Freudentränen.
    »Aber sie haben mir gesagt, du bist umgezogen, in eine andere Wohnung, du bist erschrocken und geflohen.«
    »Wer konnte Ihnen so etwas sagen?«
    »Wer das konnte? Siehst du, vielleicht habe ich es mir selbst ausgedacht, aber vielleicht hat es auch jemand gesagt. Stell dir vor, ich habe vorhin einen Traum gehabt: Ein alter Mann mit einem langen Bart kommt herein mit einer Ikone, einer in zwei Teilen gespaltenen Ikone, und sagt plötzlich: ›So wird sich auch dein Leben spalten!‹«
    »Ach, mein Gott, Sie haben doch bestimmt von jemand gehört, daß Werssilow gestern eine Ikone zerbrochen hat?«
    »N’est-ce pas? Ich habe es gehört, jawohl, ich habe es gehört! Ich habe es schon gestern vormittag von Nastassja Jegorowna gehört. Sie hat mir meinen Koffer und das Hündchen

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