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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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mich und sah mich freundlich an. Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte geglaubt, sie müßte feuerrot werden, wenn ich auf Wassin zu sprechen käme. Meine Schwester war blond, hellblond, und ähnelte darin weder unserer Mutter noch dem Vater; aber die Augen und das Oval des Gesichts waren fast wie bei der Mutter. Die Nase sehr gerade, klein und makellos; übrigens noch etwas Charakteristisches – winzige Sommersprossen über das Gesicht verstreut, die unsere Mutter nicht hatte. Von Werssilow hatte sie sehr wenig, höchstens die schlanke Gestalt, die stattliche Größe und etwas Anmutiges im Gang. Mit mir hatte sie nicht die geringste Ähnlichkeit; wir waren zwei entgegengesetzte Pole.
    »Ich habe drei Monate mit ihnen verkehrt«, fügte Lisa hinzu.
    »Du sprichst von Wassin per sie, Lisa? Du mußt sagen mit ihm, und nicht mit ihnen. Entschuldige, Schwester, daß ich dich korrigiere, aber es ist mir bitter, daß man deine Erziehung anscheinend ziemlich vernachlässigt hat.«
    »Und von dir ist es niederträchtig, in Anwesenheit ihrer Mutter darüber deine Bemerkungen zu machen«, Tatjana Pawlowna spie sofort Feuer und Flamme, »und außerdem ist es falsch, man hat sie gar nicht vernachlässigt.«
    »Ich sage ja nichts über die Mutter«, antwortete ich mit einiger Schärfe, »Sie sollen wissen, Mama, daß Lisa für mich Ihr Abbild ist; Sie haben aus ihr genau das gleiche reizende Wesen an Güte und Charakter gemacht, wie Sie es bestimmt selbst waren und es auch jetzt, heute noch, sind und ewig sein werden … Ich meinte nur den äußeren Schliff, all diese dummen gesellschaftlichen Konventionen, die allerdings unumgänglich sind. Ich bin nur darüber aufgebracht, daß Werssilow, wenn er hörte, daß du von Wassin von ihnen und nicht von ihm sprichst, dich bestimmt nicht verbessern würde – so hochmütig und gleichgültig verhält er sich uns gegenüber. Das ist es, was mich verrückt macht!«
    »Selbst noch ein Bärenjunges, predigt aber den Schliff! Unterstehen Sie sich, mein Herr, künftig in Anwesenheit Ihrer Mutter von ›Werssilow‹ zu reden, und ebensowenig in meiner Gegenwart – das laß ich mir nicht gefallen!« Tatjana Pawlowna funkelte vor Zorn.
    »Mama, ich habe heute mein Gehalt bekommen, fünfzig Rubel, nehmen Sie es bitte, hier!«
    Ich trat vor sie hin und reichte ihr das Geld; sie aber war sofort beunruhigt.
    »Ach, ich weiß nicht, ob ich es nehmen soll!« sprach sie, als fürchtete sie sich, das Geld auch nur zu berühren.
    Ich wußte nicht, was sie meinte.
    »Ich bitte Sie, Mama, wenn Sie beide mich zur Familie zählen, als Sohn und Bruder …«
    »Ach, ich bin schuldig vor dir, Arkadij; ich möchte dir gerne etwas gestehen, aber ich fürchte dich zu arg …«
    Sie sagte es mit einem schüchternen und flehenden Lächeln; ich wußte wieder nicht, was sie meinte, und unterbrach sie:
    »Übrigens, ist Ihnen bekannt, Mama, daß heute beim Gericht der Prozeß Andrej Petrowitschs mit den Sokolskijs entschieden wurde?!«
    »Ach ja, es ist mir bekannt!« rief sie aus und faltete vor lauter Angst die Hände (ihre Geste) vor sich.
    »Heute?« Tatjana Pawlowna zuckte förmlich zusammen. »Aber das kann doch nicht sein, er hätte es dir gesagt. Hat er es dir gesagt?« wandte sie sich an meine Mutter.
    »Ach nein, daß es heute ist, das hat er nicht gesagt. Und ich hatte schon die ganze Woche Angst davor. Wenn man nur verlieren würde, ich hätte ein Kreuz geschlagen, nur daß man es von der Seele hat und alles wie früher ist.«
    »Also hat er es nicht einmal Ihnen gesagt, Mama!« rief ich aus. »Was ist das für ein Mensch! Ist das nicht das beste Beispiel für seinen Hochmut und seine Überheblichkeit; und was habe ich gerade gesagt?«
    »Entschieden, aber wie wurde entschieden? Wer hat es dir gesagt?« Tatjana Pawlowna war außer sich. »Sprich doch!«
    »Aber da kommt er ja selbst! Vielleicht wird er es jetzt erzählen«, verkündete ich, weil ich seine Schritte auf dem Korridor gehört hatte, und setzte mich eiligst neben Lisa.
    »Bruder, um Gottes willen, schone unsere Mutter und sei geduldig mit Andrej Petrowitsch …«, flüsterte mir die Schwester zu.
    »Das will ich, das will ich, deshalb bin ich ja zurückgekommen«, flüsterte ich ihr mit einem Händedruck zu.
    Lisa sah mich sehr mißtrauisch an und hatte recht damit.
    II
    Er war sehr zufrieden mit sich, als er eintrat, so zufrieden, daß er nicht einmal für nötig hielt, seine gute Laune zu verbergen. Und überhaupt hatte er es sich in

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