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Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Ein grüner Junge: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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reden, weil ich erstens viel zu erregt war und den Faden verlor. Meine Mutter war kreidebleich geworden und ihrer Stimme offensichtlich nicht mehr mächtig. Sie brachte kein Wort über die Lippen. Tatjana Pawlowna redete sehr laut und so viel, daß ich ihr sogar nicht mehr folgen konnte, und stieß mich ein paar Mal mit der Faust an die Schulter. Ich erinnere mich nur, wie sie schrie, daß meine Worte »gestelzt, in einer kleinlichen Seele ausgetragen, mit dem Finger herausgepult« wären. Werssilow saß reglos und sehr ernst da, ohne zu lächeln. Ich ging hinauf in mein Stübchen. Der letzte Blick, der mich aus dem Zimmer begleitete, war der vorwurfsvolle Blick meiner Schwester; sie sah mir nach und schüttelte streng den Kopf.

Siebtes Kapitel
    I
    Ich habe alle diese Szenen schonungslos geschildert, um mich an alles deutlich zu erinnern und meine damaligen Eindrücke wieder aufleben zu lassen. Als ich oben war, war ich völlig unsicher, ob ich mich schämen oder triumphieren sollte als jemand, der seine Pflicht erfüllt hat. Wäre ich auch nur ein Jota erfahrener gewesen, hätte ich eingesehen, daß der leiseste Zweifel in einem solchen Fall als schlechtes Zeichen gedeutet werden muß. Aber es gab da noch einen anderen Umstand, der mich verwirrte: Ich weiß nicht, worüber ich damals froh war, aber ich war schrecklich froh, ungeachtet aller Zweifel und der klaren Einsicht, daß ich unten schlecht abgeschnitten hatte. Auch daß Tatjana mich so aufgebracht beschimpft hatte, fand ich nur drollig und unterhaltsam, aber keinesfalls ärgerlich. Der Grund dafür lag wahrscheinlich darin, daß ich immerhin die Kette zerrissen hatte und mich zum ersten Mal in Freiheit wähnte. Ich ahnte auch, daß ich mir meine Lage erschwert hatte: Das Dunkel um die Entscheidung über den Brief zu der Erbschaft hatte sich noch mehr verdichtet. Jetzt würde man mit aller Entschiedenheit annehmen, ich wollte an Werssilow Rache nehmen. Aber ich hatte mich noch unten entschlossen, während all dieser Debatten, die Sache mit dem Brief über das Erbe der Entscheidung eines Dritten zu überlassen und mich an Wassin wie an einen Richter zu wenden, und wenn es mit Wassin nicht klappen sollte, dann an eine andere Person, ich wußte schon, an wen. Noch einmal, nur wegen dieser Angelegenheit, werde ich Wassin aufsuchen, dachte ich, und dann – dann werde ich für alle auf lange Zeit verschwinden, auf einige Monate, und für Wassin ganz besonders; nur Mutter und Schwester werde ich vielleicht hin und wieder sehen. Das alles war ein einziger Wirrwarr; ich hatte das Gefühl, etwas getan zu haben, wenn auch nicht ganz richtig und – war zufrieden; ich wiederhole, trotz allem war ich irgendwie froh.
    Ich hatte mir vorgenommen, früh zu Bett zu gehen, weil ich voraussah, daß ich morgen lange auf den Beinen sein müßte … Ich mußte nicht nur eine Wohnung mieten und umziehen, sondern ich hatte mir vorgenommen, gewisse Entschlüsse so oder anders auszuführen. Aber der Abend sollte nicht ohne einen kuriosen Vorfall zu Ende gehen, und Werssilow gelang es trotz allem, mich außerordentlich zu überraschen. Meine Mansarde hatte er noch kein einziges Mal betreten, und plötzlich, ich war noch keine Stunde oben, hörte ich seine Schritte auf der Stiege: Er rief mich, damit ich leuchte. Ich trug die Kerze hinaus, streckte ihm meine Hand entgegen, die er ergriff, und half ihm, bis nach oben zu kommen.
    »Merci, mein Freund. Ich bin noch nie hier heraufgeklettert, nicht einmal, als ich die Wohnung mietete. Ich ahnte schon, wie es hier sein würde, aber ein solch elendes Loch habe ich nicht erwartet.« Er blieb in der Mitte der Kammer stehen und sah sich neugierig um. »Aber das ist ja ein Sarg , ein richtiger Sarg!«
    Tatsächlich, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Inneren eines Sarges war nicht zu verkennen, und ich wunderte mich sogar, wie treffend er dies mit einem einzigen Wort bezeichnete. Es war ein schmaler, langer Verschlag, in der Höhe meiner Schultern, nicht höher, stießen die Wände und das Dach, das ich mit der Handfläche berühren konnte, in einem Winkel aneinander. Werssilow war im ersten Augenblick unbewußt gebückt stehengeblieben, aus Furcht, er könne mit dem Kopf an die Decke stoßen, er stieß jedoch nicht an und ließ sich seelenruhig auf meinem Diwan nieder, auf dem mein Bett bereits aufgeschlagen war. Ich für mein Teil setzte mich nicht und sah ihn in tiefster Verwunderung an.
    »Die Mutter erzählt, sie habe nicht recht gewußt,

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