Ein guter Blick fürs Böse
zu leben und zu atmen, weiter existierten, irgendwo auf halbem Weg zwischen diesem Leben und totaler Auslöschung. Das Zimmer war bewohnt von einer Menagerie toter Kreaturen. Sie hingen von der Decke, sie spähten durch die Glaswände von Vitrinen, in denen sie geschmackvoll in einer scheinbar natürlichen Umgebung montiert worden waren. Sie steckten ihre Schnauzen unter dem Tisch und unter Stühlen hervor und aus offenen Schränken. Es gab ein Fenster im Raum, das nach hinten hinauszeigte, und davor stand ein großes Steingutwaschbecken mit Ablaufbrett. Ich bewegte mich vorsichtig darauf zu, während zahllose Glasaugen jeden einzelnen meiner Schritte beobachteten, und blickte hinein. Dort lag ein kleiner toter Hund von der Sorte, wie Ladies sie gerne eingehüllt in einen Muff mit sich herumtragen, noch an einem Stück, aber offensichtlich ein Kandidat für den Taxidermisten.
Ich warf einen Blick durch das Fenster auf den Hof unten. Es war ein Fleck zertrampelter Erde mit einer Wäscheleine, an der das Leinen der Weisz-Familie flatterte, dazu ein gemauerter Abort und ein Schuppen. In der rückwärtigen Mauer befand sich außerdem eine Tür, also verlief hinter dem Hof eine Gasse. Direkt unter mir sah ich einen derben Holztisch mit zwei Bänken, daneben Säcke mit Kartoffeln und Spuren der Arbeit, die Mrs. Weisz und ihre Kinder mit dem einsetzenden Regen vorübergehend hatten liegen lassen.
Ich hörte ein leises Schlurfen, und für einen Sekundenbruchteil stieg unvernünftige Panik in mir auf, dass eine der glasäugigen Kreaturen hinter mir wieder zum Leben erwacht sein könnte und nun die steifen Pfoten bewegte oder die Flügel ausbreitete und im Begriff stand, sich auf mich zu stürzen. Ich wirbelte herum und erhaschte aus dem Augenwinkel eine Bewegung hinter einer Vitrine.
»Kommen Sie heraus!«, befahl ich.
Ein leises Stöhnen erklang, und dann trat ein kleiner Mann mit einer Schürze und einem Schädelkäppchen über einem wirren Schopf grauer Haare ans Licht und schob sich zögernd ein, zwei Schritte in meine Richtung. Er sah genauso verängstigt aus wie zuvor Miss Poole.
»Sie müssen sich nicht fürchten«, versicherte ich ihm. »Ich bin Polizeibeamter. Sind Sie Mr. Baggins?« Ich zeigte ihm meinen Dienstausweis.
»Ja …«, flüsterte er. »Ja, ich bin Baggins. Sebastian Baggins, Sir …«
»Es gab einen Zwischenfall, Mr. Baggins, betreffend Ihren Nachbarn, Mr. Jenkins.«
»Ich habe Ruby Poole kreischen hören«, gestand er. »Sie schrie etwas von Mord. Wurde Jenkins ermordet? Ich habe mich versteckt.« Er blinzelte mich kläglich an. »Als Sie an meine Tür geklopft haben, Sir, dachte ich, Sie wären der Mörder und auf der Suche nach dem nächsten Opfer.«
Ein höflicher Mörder, der zuerst anklopft, dachte ich. »Nein, Mr. Baggins, Sie sind in Sicherheit. Der Übeltäter ist geflüchtet.«
Baggins richtete sich auf und stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus, nur um in einem letzten Anflug von Furcht zu fragen: »Er kommt nicht zurück, oder?«
»Nein, Mr. Baggins. Ich bezweifle stark, dass er noch einmal zurückkommt.«
Der Mörder hatte entweder gefunden, wonach er in Jenkins’ Büro gesucht hatte, oder er war leer ausgegangen. In jedem Fall würde er nicht noch einmal herkommen. »Wie dick sind die Wände in diesem Haus?«, fragte ich und deutete auf die umgebenden Mauern.
»Einigermaßen«, antwortete Baggins vorsichtig. »Man hört keine Unterhaltungen. Was mir im Übrigen sehr recht ist. Ich muss mich auf meine Arbeit konzentrieren. Ich kann mich nicht dauernd ablenken lassen. Das Tier muss am Ende aussehen, als lebte es noch. Man kann kein schielendes Tier präparieren oder eines mit einem Buckel. Ich bin stolz auf meine Schöpfungen. Sehen Sie nur diese Eule dort drüben, man könnte schwören, dass sie im Begriff steht, sich auf Sie zu stürzen! Wenn ich arbeite, höre ich generell nichts von dem, was um mich herum vorgeht. Ich würde nicht einmal Sie hören, wenn Sie in diesem Raum stünden und mich ansprechen würden.«
Ich hatte versucht, die fragliche Eule zu ignorieren. Sie hatte einen entschieden unfreundlichen Blick, und er war auf mich gerichtet. Doch ich sah bereits, wohin die Unterhaltung führte. Mr. Baggins hatte, genau wie Mr. Weisz, nichts gesehen und nichts gehört. Doch so leicht gab ich mich nicht zufrieden.
»Wussten Sie, dass Jenkins heute Morgen einen oder mehrere Besucher hatte?«
Er zögerte unmerklich. »Nein. Nein, ich hätte draußen im
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