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Ein guter Jahrgang-iO

Ein guter Jahrgang-iO

Titel: Ein guter Jahrgang-iO Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Mayle
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den besten Absichten.
    Sie stand in der Mitte der Küche, gedankenvoll, aber unschlüssig, und hoffte auf eine Eingebung. Was für einen Grund - einen einleuchtenden - konnte sie finden, um Schlafzimmertüren zu öffnen und die Häupter ihrer Lieben zu zählen? Ein rascher Blick auf die Küchenuhr sagte ihr, dass es beinahe halb elf war. Und plötzlich kam ihr eine Idee. Sie erinnerte sich an einen Artikel, den sie irgendwann einmal im Télérama- Magazin gelesen hatte. Es handelte sich um ein Interview mit einem bekannten englischen Filmschauspieler, der als un vrai Cockney beschrieben wurde. Wenn man ihm Glauben schenken durfte, begann jeder Engländer den Tag am liebsten mit einer Tasse Tee im Bett, in aller Herrgottsfrühe - richtigem Tee, so stark, dass der Löffel darin stehen blieb. Madame Passepartout füllte den Wasserkessel und richtete ein Tablett her: Teekanne, Tassen und Unterteller, Zuckerdose, einen kleinen Krug Milch (eine sonderbare Zugabe, aber offenbar sehr beliebt bei den Engländern). Sie fand ein Päckchen Earl-Grey-Teebeutel, das vermutlich noch aus Onkel Henrys Zeit stammte, und brühte den Tee auf - nach englischer Art, wie sie hoffte, wobei sie zwei Beutel ziehen ließ, bis die Flüssigkeit in der Kanne die Farbe von Kreosot, einem Imprägnierungsmittel, angenommen hatte.
    Als sie die Stufen hinaufstieg, zögerte sie einen Moment auf dem Treppenabsatz, bevor sie nach links abbog und auf das Gästezimmer zuging, das für Charlie hergerichtet worden war. Sie klopfte an die Tür, den Kopf geneigt, und lauschte. Kein Laut war zu hören. Sie klopfte erneut, dann stieß sie die Tür auf. Wieder keine Reaktion.
    Im Zimmer herrschte die übliche Unordnung eines Junggesellen. Ein Stapel Kleidungsstücke war achtlos auf einen Lehnstuhl in der Ecke geworfen worden. Von Charlie selbst fehlte jede Spur. Das Bett war unbenutzt, der Cognac unberührt. Die Königin lächelte hoheitsvoll in ihrer gerahmten Fotografie, und Madame Passepartout erwiderte unwillkürlich das Lächeln. Die beiden Turteltauben waren zweifellos ausgeflogen, hatten die Nacht anderswo verbracht. Das hatte sie sich fast gedacht.
    Es war eine Schande, den frisch aufgebrühten Tee zu verschwenden, und deshalb beschloss sie, Max eine Wohltat zu erweisen. Sie klopfte mehrmals an, bevor sie eintrat. Alles, was sie sah, war ein leeres Schlafzimmer und ein Bett, in dem niemand genächtigt hatte. Als sie zum Treppenabsatz zurückkehrte und ihren nächsten strategischen Schritt überdachte - wäre es taktlos, wenn sie versuchte, ihre Erfrischung im Schlafzimmer der Amerikanerin loszuwerden? Nein, natürlich nicht -, hörte sie einen Wagen vorfahren. Sie eilte die Treppe hinunter, so schnell das Tablett es zuließ, und hatte kaum die Küche betreten, als Max durch die Tür kam - zerzaust, unrasiert, eine Baguette und eine Tüte Croissants in der Hand, strahlend vor Glück.
    »Was für ein Morgen!«, sagte er und küsste Madame Passepartout, die völlig perplex war, auf beide Wangen. »Wie geht es Ihnen heute, liebe Madame? Ich war gerade im Dorf - ein herrlicher Tag. Haben Sie sich von der Tanzerei erholt?« Er legte Brot und Croissants auf dem Tisch ab und sah das Tablett: mit dem Tee für zwei. »Was ist denn das? Zimmerservice?«
    »Das war für Monsieur Charles gedacht, aber er war nicht in seinem Zimmer.«
    »Nein! Wirklich? Vielleicht hat er sich auf dem Heimweg verirrt.«
    »Aber sein Auto steht vor der Tür.« Madame Passepartout setzte ihre überzeugendste Unschuldsmiene auf. »Wo könnte er nur stecken?«
    »Schwer zu sagen, Madame.« Ich werde mich hüten, auszusprechen, was wir beide denken, dachte er. »Haben Sie es schon im Zimmer der jungen Dame versucht?«
    »Natürlich nicht! Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen!« Ein beredtes Naserümpfen angesichts dieser verwegenen Vorstellung, und schon wechselte sie das Thema. »Und was ist mit Ihnen, Monsieur Max? Haben Sie sich gestern Abend amüsiert? Sie haben, mit Verlaub, viel versprechende Ansätze beim paso doble gezeigt.«
    »Oh, ich befand mich ja auch in den Armen einer Expertin.« Bei der Erinnerung an die Arme, die ihn noch vor einer halben Stunde umfangen hatten, besaß er wenigstens den Anstand zu erröten.
    Madame Passepartout war inzwischen mehr oder weniger zufrieden mit dem Ergebnis ihrer Ermittlungen; sie konnte ihren Busenfreundinnen Bericht erstatten, dass sie nicht nur ein leeres Schlafzimmer vorgefunden hatte, sondern gleich zwei. Sie begann, Kaffee zu kochen,

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