Ein guter Mann: Roman (German Edition)
Tochter.«
»Ja.«
Die Piloten gaben Vollgas, der Vogel begann schnell zu werden und stieg endlich steil auf.
»Sie sind ein Trickser!«, stellte sie nervös fest.
»Das auch«, grinste er. »Sie können sich, wenn Sie das üben, in Stresssituationen mühelos ruhiger stellen. Üben Sie es, und Sie werden irgendwann keine Flugangst mehr haben.«
»Sind Sie Psychologe?«
»Nein«, sagte Müller. »Handelsvertreter. Nägel, Zangen, Hämmer, Schrauben, Schlagbohrer, Excenterschleifer, Kreissägen, Beschläge aller Art. Die wirklich wichtigen Dinge im Leben.«
»Entzückend!«, hauchte sie nervös.
Am Flughafen von Damaskus angekommen, nahm Müller ein Taxi und ließ sich ins Hotel fahren. Er packte seinen Koffer aus und ging dann in die Halle hinunter. Er benutzte selten den Lift, sondern betrachtete jedes Treppenhaus als eine Möglichkeit, seine Kondition zu stärken.
Unten nahm er ein Taxi zum großen Basar und schlenderte dann scheinbar ziellos durch die engen Gassen.
Das zweimalige Aneinandervorbeilaufen klappte reibungslos, kein Zeichen, dass irgendetwas falsch lief. Müller setzte sich an ein kleines Tischchen. Der schäbige Plastikkoffer wirkte unter dem Plastiktischchen wie das abstoßende Abbild einer im Untergang befindlichen Kultur.
Dann kam der Unterprimaner mit seinem schlackernden, zögerlichen Gang und setzte sein Köfferchen neben das von Müller.
Es folgten ein paar alberne Schritte zum gegenüberliegenden Gewürzkrämer. Kurzer Blick in die Körbe mit all den wohlriechenden Pulvern und Körnern, die scheinbar schwerwiegende Überlegung: Was koche ich heute Abend? Jetzt drehte er sich, kam heran, nahm ohne Blickkontakt Müllers Koffer und verschwand.
Müller blieb noch eine Weile sitzen, holte sich einen Mokka, hatte Zeit, denn nichts trieb ihn. Dann öffnete er den Plastikbehälter und nahm die braune Papiertüte heraus. Als er ging, ließ er den kleinen Koffer einfach in eine große Abfalltonne fallen und klemmte sich die Papiertüte unter den rechten Arm. Dann ließ er sich von einem Taxi in das Hotel fahren und brachte das Geld in einem seiner Musterkoffer unter.
Er rief erneut seine Mutter an, fragte sich aber vorher, ob er das dürfe. Die Antwort lautete: Ich bin der Eisenwarenvertreter Karl Müller aus Hamburg, ich besuche Kunden in Damaskus. Mein Privatleben findet weiter statt, also darf ich mit meiner Mutter sprechen.
»Wie geht es dir jetzt?«
»Ich würde am liebsten im Krankenhaus bei ihm bleiben«, sagte sie kläglich.
»Aber du weißt doch, dass das nicht geht. Und er ist ständig unter Beobachtung. Du könntest doch ohnehin nichts für ihn tun.«
»Aber er würde bestimmt merken, dass ich neben seinem Bett sitze.«
»Ja, du hast Recht. Aber es geht einfach nicht.«
Eine Weile herrschte Schweigen.
»Wo bist du denn eigentlich?«
»Im Ausland«, sagte er.
»Und wann kommst du heim?«
»Übermorgen oder so«, antwortete er. »War Melanie da?«
»Nein. Sie hat mich angerufen und mir gesagt, sie könne nicht kommen, weil sie niemanden für Anna-Maria hätte.« Und dann, ganz sanft: »Junge, ist da irgendetwas los?«
Es war nicht das erste Mal, dass sie das fragte, und er betrachtete das als eine nicht statthafte Einmischung. Sein Vater hätte jetzt gemurmelt: Sie riecht so etwas.
»Nicht das Geringste«, antwortete er bestimmt. »Ich melde mich morgen wieder. Und wenn Vater dich versteht, sag ihm einen schönen Gruß von mir.«
»Aber, Junge, wir müssen reden.«
Einen Moment lang war er verwirrt. »Über was?«
»Über ihn, und wie er … wie er war.«
»Er lebt, Mama.«
»Na ja«, antworte sie leise, dann war die Verbindung unterbrochen.
Er machte den Kontrollanruf bei Achmed, streng nach Absprache.
Er sagte: »Dein Hammer- und Nägelmann ist in der Stadt.«
Achmed reagierte enthusiastisch: »Hi, Karl!«, brüllte er. »Und wann kommst du ins Geschäft?«
»Ich denke, gegen neun«, sagte Müller.
»Warum kommst du nicht jetzt auf einen Wein?«
Hätte er statt Wein Kaffee gesagt, wäre ein Treffen nicht möglich gewesen. Wein bedeutete freie Bahn.
Achmeds Englisch wurde immer besser. Er hatte Müller gebeten, nur noch auf Englisch mit ihm zu sprechen. »Ich muss üben«, hatte er ernsthaft erklärt und dann grinsend hinzugefügt: »Dein Arabisch wird in diesem Leben sowieso nicht mehr brauchbar.«
»Kein Wein. Ich muss schlafen, mein Lieber. Bis morgen früh.«
Wenig später lief Müller das Treppenhaus hinunter und setzte sich ins
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