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Ein guter Mann: Roman (German Edition)

Ein guter Mann: Roman (German Edition)

Titel: Ein guter Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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13.04 Uhr.
    Pjotr sah sich um. Wie alle eiskalten Krieger betrachtete er die Szene, die er gleich verwüsten würde. Seiner Schätzung nach befanden sich etwa eintausend Menschen unter der Kuppel. Die meisten sicherlich Touristen, die gleichermaßen neugierig wie verwundert zum steilen Kuppeldach hochblickten, die Filmchen auf der riesengroßen Videoleinwand verfolgten oder vor den Kinos standen und überlegten, ob sie hineingehen sollten. Hinter den Glasscheiben der Restaurants erkannte Pjotr deutlich Hunderte von Gästen, darunter viele Büroangestellte, die zu Mittag aßen.
    Ich werde euch ein wenig erschrecken, dachte er.
    Der Kompressor stand inmitten des fröhlichen Gewimmels, und kein Mensch achtete darauf.
    Pjotr bewegte sich langsam aus dem Gebäude hinaus und ging direkt an den zuvor ausgewählten Punkt, von dem aus er das Center gerade noch sehen konnte. Er war ungefähr dreihundert Meter entfernt, als er das kleine schwarze Kästchen nahm und den Knopf drückte.
    Es war 13.12 Uhr.
    Es gab Leute, die hinterher behaupteten, die riesige Kuppel sei nach oben gedrückt worden, um dann wie ein zerplatzter Luftballon zusammenzufallen. Andere meinten, der Explosionsblitz sei so gewaltig gewesen, dass sie noch Minuten später nicht richtig sehen konnten.
    Eine Gruppe Rentner aus Dresden, unterwegs mit einem Bus, hatte gerade begonnen, einem Führer zuzuhören, der etwas über die technischen Einzelheiten des Centers erklärte, als der zehn Meter entfernte Kompressor explodierte. Die Gruppe wurde von dem ungeheuren Druck geschlossen in die dreißig Meter entfernten Glasfronten eines Restaurants geblasen. Acht von ihnen waren sofort tot, elf verloren das Bewusstsein und wachten erst Stunden später in einem Krankenhaus auf. Einen Mann, dem die Explosion beide Beine abriss, ließen die Notärzte sterben. Er hatte keine Chance mehr.
    In einem der modernen Wohnblocks, Entfernung genau einhundertelf Meter, riss die Welle den Balkon ab, auf den eine junge Mutter gerade den Kinderwagen mit ihrem kleinen Sohn geschoben hatte. Als sie entsetzt nach dem Kind sehen wollte, stürzte auch sie vierzig Meter in die Tiefe.
    Im gleichen Wohnblock verkeilten sich im Treppenhaus etwa vierzig Bewohner, die mit völlig idiotisch ausgesuchten Habseligkeiten panisch aus dem Haus fliehen wollten.
    Zu diesem Zeitpunkt, etwa sechs Minuten nach der Explosion, näherten sich bereits Feuerwehrwagen und Polizeistreifen dem Unglücksort mit höchster Geschwindigkeit. Jetzt kamen auch die ersten Schreie aus dem Center. Ein Zeuge sagte später: »Zuerst war es nur still – totenstill.«
    Die gigantischen Glasfronten im Center waren alle zerplatzt, riesige Scherben waren wie Fallbeile auf die Besucher heruntergefallen. Eine junge Frau stand regungslos im Chaos und hielt ihr Kind hoch. Es hatte keinen Kopf mehr.
    Neun Minuten nach der Explosion waren die ersten Fernsehteams an Ort und Stelle und begannen zu drehen.
    Zehn Minuten nach der Explosion wurde die Strahlung festgestellt, und Feuerwehrleute wie Polizisten begannen hysterisch, die Fernsehteams abzudrängen. Dabei operierten sie selbst ebenfalls komplett ungeschützt.
    Ein Team von RTL drehte eine Szene mit einem auf dem Boden hockenden Mann, der beide Arme verloren hatte und offensichtlich nicht im Geringsten begriff, was mit ihm geschehen war.
    Dann tauchten Hubschrauber am Himmel auf und schufen durch ihren Lärm ein noch größeres Chaos.
    Und erst dann, zwölf Minuten nach der Explosion, kamen aus Lautsprechern die Warnungen an alle: »Schließen Sie Fenster und Türen. Bleiben Sie in Ihren Wohnungen!«
     
     
     
     
    Müller wollte gerade seine Mutter anrufen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er sie vernachlässigt hatte. Sie war – wieder einmal – aus seinem Leben geglitten. Vielleicht war das normal, vielleicht geschah das einfach in seinem Alter, vielleicht war auch das eine Routine im Leben. Da hatte er plötzlich einen schrillen Ton im Ohr. Er wurde gerufen.
    Krause sagte: »Wir haben eine Explosion um dreizehn Uhr zwölf im Sony-Center. Fahren Sie nicht dorthin, die Leute mit den Messgeräten sagen, dass es die schmutzige Bombe ist. Und wir haben Tote. Kommen Sie rein, so schnell wie möglich.«
    »Ich komme«, sagte Müller. Er nahm das Blaulicht mit der rechten Hand von der Halterung, wechselte es in die Linke, ließ das Fenster herunter und setzte es auf das Wagendach. Dann gab er Vollgas.
    Karen, dachte er plötzlich panisch. Er wurde etwas langsamer und wählte

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