Ein guter Mann: Roman (German Edition)
jetzt in den Laderaum kommen. Obwohl noch gar keine Ladung an Bord war.
Bohnen setzte sich hinter das Steuer und pfiff »Amazing Grace«.
Er dachte an Paula, die gestern Abend endlich lächelnd zugestimmt hatte. Sie würde es sich überlegen, das mit der Hochzeit. Wäre vielleicht angebracht. Aber ihren Bratwurststand wollte sie unbedingt behalten. Weshalb auch nicht? Sie hatte gesagt: »Ich weiß ja nicht, ob ich nicht kurz nach der Hochzeit irgendwann allein herumstehe.« Mit ihrem voll ausgebauten Häuschen in der Schrebergartenanlage und mit seiner Wohnung in der Stadt wären sie so etwas wie ein komplettes Paar. Sie machte rund zweieinhalbtausend netto, er genauso viel. Da konnte doch gar nichts mehr schief gehen.
Er fühlte sie noch, wie sie vor wenigen Minuten warm und verschlafen neben ihm gelegen und sich genussvoll geräkelt hatte. Mann, konnte die sich räkeln – wie ein Kind ohne Ahnung von der Welt.
Dann geschah das Wunder des Tages: Stahlmann stand fix und fertig vor seiner Haustür und brummte vorwurfsvoll: »Du bist schon wieder vier Minuten drüber!«
»Wir sind doch kein Linienbus«, antwortete Bohnen grinsend. »Jetzt steig ein, Alter, steck uns eine Zigarette an und halt den Mund.«
Sie waren ein eingespieltes Team, fuhren seit fünfzehn Jahren zusammen Gefahrgut. Sie hatten noch nie einen Unfall gebaut und waren so etwas wie das heißeste Duo der Branche. Ihr Chef, der Inhaber einer Berliner Firma für Spezialtransporte, pflegte zu betonen: »Die haben die schärfsten Chemiebomben durch Europa gekarrt, die fahren mit zehn Gramm radioaktivem Plutonium am Arsch genauso ruhig durch die Gegend wie unsereiner mit einem alten Mercedes. Bohnen und Stahlmann sind einfach Spitze. Nerven wie Stahlseile.«
»Ruf die Zentrale, dass du drauf bist. Der Laderaum ist gesichert«, sagte Bohnen. »Ach, übrigens, ehe ich es vergesse: Kann sein, dass ich die Paula heirate. Dieses Jahr noch.«
Stahlmann sah ihn von der Seite an. »Und? Was soll ich da sagen? Herzlichen Glückwunsch? Oder: Mein Beileid? Wird Zeit, dass deine Liebeskrankheit sich legt, das ist die Hauptsache.« Schließlich grinste er und wünschte ihm: »Alles Gute, Junge.«
Dann erledigte er den Anruf. »Stahlmann. Ich bin drauf.«
»Steck uns endlich eine Zigarette an«, sagte Bohnen.
Die erste Stunde regnete es.
Bohnen nahm die A 10 im Norden Berlins und ging dann auf die A 24 direkt nach Hamburg. Er fuhr wie immer um die hundert Stundenkilometer, und inklusive einer Pinkelpause erledigten sie die rund zweihundertachtzig Kilometer in drei Stunden. Der Himmel war grau, die Fahrbahn trocken, es war angenehm zu fahren.
Außer einem normalen Fahrtenschreiber war ein zweites, für den Fahrer nicht zugängliches Aufzeichnungssystem eingebaut, das sogar Bremswege exakt aufzeichnete und das Stehen im Stau auf die Sekunde genau registrierte. Falls einer der Fahrer unterwegs eine schwere Tasche aufnahm und sich dadurch das Gewicht des Fahrzeugs veränderte, wurde auch das auf das Gramm genau aufgezeichnet.
Um 9.17 Uhr erreichten sie den Hamburger Freihafen, durften passieren und fuhren an den Kai, an dem die »Saragossa« festgemacht hatte. Das Schiff kam direkt aus Kanada, sie kannten es, weil es seit Jahren ihre Fracht transportierte. Niemals war etwas passiert, was Unruhe verbreitet hätte.
Da Bohnen und Stahlmann ein wenig zu früh dran waren, gingen sie in die Heringsbude, tranken einen Kaffee, aßen ein Fischbrötchen und sprachen gut gelaunt mit den Arbeitern, die dort Pause machten.
Um 9.45 Uhr schlenderten sie an den Kai.
Die übliche Funkstreifenbesatzung war neben ihnen aufgefahren, zwei Zollbeamte warteten schon, man kannte sich, die Szenerie war vollkommen entspannt.
Einer der Polizeibeamten fragte höflich: »Und was laden wir heute?«
Bohnen antwortete: »Vier Tennisbälle radioaktives Kobalt 60 für die Bestrahlung Krebskranker in der Hauptstadt.«
Sowohl die Polizisten als auch die Zollbeamten verlangten eine Unmenge Unterschriften und mussten selbst all die Vordrucke unterschreiben, die Stahlmann ihnen in einer Din-A4-Mappe vorlegte.
Bohnen rief die Zentrale und bat knapp: »Öffnet mir die Ladefläche.«
Es gab ein paar schabende und klickende Geräusche, dann konnte er die Hecktür öffnen.
Nach wenigen Augenblicken fuhr ein rot lackierter Gabelstapler aus der riesigen Seitenluke des Schiffes heraus, auf einer Palette vier schwere Kisten, jede einen Meter hoch und etwa achtzig Zentimeter breit mal tief.
Der
Weitere Kostenlose Bücher