Ein guter Mann: Roman (German Edition)
es doch gar nicht.
Dann löste Bohnen sich quälend von diesen sinnlosen Überlegungen, machte einen Schritt nach vorn, um aus der Enge neben der Tür herauszukommen, und fragte laut: »Stahlmann?«
Der Vermummte schoss erneut sofort. Er schoss in den Boden zu Bohnens Füßen.
Das ist gar nicht so laut wie in den Filmen, dachte Bohnen. Er fragte noch einmal: »Stahlmann?«
Der Vermummte vor ihm machte einen schnellen Schritt nach vorn, hob die Waffe, legte sie sich quer vor den Bauch, und dann kam der eiserne Kolben hoch und traf ihn im Gesicht.
Bohnen war sofort bewusstlos.
Stahlmann lag neben dem Wagen mit dem Gesicht nach unten auf dem Asphalt und kam ganz langsam wieder zu sich. Er spürte Blut im Gesicht, es war warm und schmeckte süßlich.
»Bohnen!«, nuschelte er.
Dann hob er den Kopf und sah die Autos und die Bundesstraße entlang. Wieso fährt hier niemand?
Anfangs konnte er einige Sekunden lang nicht genau sehen, die Bilder zeigten sich doppelt. Das machte ihm Angst. Aber er konnte erkennen, dass jeweils zwei der vermummten Männer eine Kiste trugen und sie hinten auf den zweiten Kleinlaster luden.
Und einer der Vermummten stand abseits auf der Fahrbahn der Bundesstraße, weniger als fünf Meter von Stahlmann entfernt, und hielt einen Laptop auf den weit gespreizten Fingern der linken Hand. Er wirkte grotesk wie ein Kellner mit einem Tablett, und er erweckte den Eindruck, als mache er so etwas öfter, als sei er das gewohnt.
»Scheiße!«, sagte Stahlmann heftig, obwohl er normalerweise nicht zu Kraftausdrücken neigte.
Dann musste er sich quälend und schmerzhaft übergeben und legte den Kopf zur Seite, weil das so peinlich und ekelhaft war.
Aus dieser Position sah er unter dem Fahrzeug hindurch Bohnen. Und neben Bohnen zwei Beine in Jeans und Sportschuhen.
Bohnens Gesicht war in ein erschreckendes Farbengemisch getaucht.
»Mein Gott!«, stöhnte Stahlmann. Er dachte: Das ist ein Horrorgesicht! Das sieht so aus wie tot.
Dann schlug Bohnen die Augen auf.
»Bohnen«, fragte Stahlmann krächzend. »Was ist?«
Bohnen wirkte erstaunlicherweise klar. »Das sind doch Selbstmörder«, sagte er unter dem Fahrzeug hindurch. »Die krepieren doch.«
Sein Gesicht hatte in einer schlammigen Pfütze gelegen. Zusammen mit dem Blut gab das einen scheußlichen Anblick.
»Beweg dich nicht«, murmelte Stahlmann. Dann hob er unter Schmerzen den Kopf ein wenig hoch. »Die sind fertig, die haben abgeladen«, sagte er. »Kannst du aufstehen?«
»Vielleicht«, sagte Bohnen undeutlich.
Aber sie konnten sich nicht aufrichten, sie kamen zu keiner Bewegung mehr.
Der Mann neben Bohnen schoss vollkommen ungerührt erst Bohnen durch die rechte Kniekehle, kam dann mit wenigen, schnellen Schritten um das Fahrzeug herum und machte dasselbe bei Stahlmann.
Es war genau 11.38 Uhr, wie wenig später aus dem internen zweiten Überwachungssystem des Transporters hervorging.
Karl Müller machte sich eine Liste mit den Dingen, die er einkaufen wollte. Da stand: für Karen Blumen ins Hotel, nach Teppichboden gucken, Spray gegen Pilzbefall, möglicherweise auch Teppichschaum, blühende Blumen! Zwei, drei Bäume Grünzeug, möglichst groß, oder Ähnliches. Nach einem billigen, kleinen Fernseher schauen. Ein paar Konserven wie Erbsen- und Linsensuppe, ein paar Sachen zum Spielen für A. M.
Dann starrte er seine Gardinen vor dem Fenster an. Es war weitmaschiger, netzartiger, ehemals weißer Stoff, nun vergilbt, der sich fettig anfühlte. Also schrieb er: Vorhänge! Und machte sich daran, die Größe auszumessen.
Um 8.16 Uhr meldete sich sein Handy.
Melanie sagte atemlos: »Guten Morgen. Ich habe nachgedacht, ich gehe heute nicht arbeiten. Ich kann das einfach nicht. Und ich muss mit dir reden.«
Plötzlich fühlte Müller eine wilde, überbordende Freude.
»Das können wir doch«, sagte er mit einem Kloß im Hals. »Ich muss nur abwarten, was heute im Büro anliegt. Das weiß ich erst in einer Stunde. Ich rufe dich an.«
»Das … das passt mir«, entgegnete sie knapp und unterbrach die Verbindung.
Drei Minuten später kam ein Anruf seiner Mutter.
Sie sagte tonlos und hohl: »Papa ist nicht mehr.«
Er wusste nichts zu antworten, er hatte keine Sprache mehr.
»Junge? Junge, bist du noch da?«
»Ja, ich bin da. Bist du im Krankenhaus?«
»Ja.«
»Ich komme hin.«
Er rief das Geschäftszimmer im Amt an und bat, Krause vom Tod seines Vaters zu unterrichten. Routinemäßig setzte er hinzu: »Ich bin
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