Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein guter Mann: Roman (German Edition)

Ein guter Mann: Roman (German Edition)

Titel: Ein guter Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
Vom Netzwerk:
ständig erreichbar.«
    Dann überfiel ihn ein jähes Zittern, und er setzte sich auf den scheußlichen rosafarbenen Sessel. Er war unfähig zu weinen oder seiner Trauer einen anderen Ausdruck zu geben. Er fühlte sich erstarrt.
    Er fuhr wie betrunken, und er konnte sich später an keine Einzelheiten seines Weges erinnern. Zum Beispiel wusste er nicht mehr, wie er über verschiedene stark befahrene Kreuzungen gekommen war.
    Auf der Intensivstation fand er ein merkwürdiges Bild vor. Seine Mutter saß auf diesem Stuhl, der immer schon wie festgenagelt neben diesem Bett gestanden hatte. Nur das Bett war nicht mehr da. Einige der Geräte blinkten noch, durchsichtige Plastikschläuche hingen nutzlos herum.
    Seine Mutter schaute zu ihm auf und flüsterte: »Sie haben ihn weggebracht. Sie brauchen das Bett, verstehst du?«
    »Ja, natürlich.« Müller nickte.
    Hinter ihnen war die Schwester mit dem Protesthaar. Sie murmelte: »Mein Beileid. Ihr Beerdigungsunternehmer wird alles Weitere veranlassen. Sie brauchen ihn nur anzurufen. Diese Leute sind sehr professionell und erledigen auch sämtliche Papiere.«
    »Wie ist er denn gestorben?«, fragte Müller.
    Die Schwester antwortete schnell und ohne eine Sekunde der Überlegung: »Ihr Vater ist ganz still gegangen. Er hatte keine Schmerzen, er ist einfach entschlafen, ohne zu leiden.«
    »Und die Todeszeit? Nicht, dass es wichtig wäre, aber …«
    »Die Todeszeit war sieben Uhr, die Todesursache die Folgen des Schlaganfalls. Das bekommen Sie selbstverständlich mit den Papieren.«
    »Ja«, murmelte Müller. »Wir gehen dann.«
    Er sah das Paket mit den Papiertaschentüchern auf dem Beistelltisch und steckte es ein, als sei es ein bemerkenswertes Überbleibsel.
    »Dann wollen wir gehen«, sagte er.
    Er fuhr mit seiner Mutter in sein Elternhaus, und sie sprachen unterwegs kein Wort miteinander. Sie weinten nicht, es war, als habe die Welt einen Moment lang ihre Geschäftigkeit angehalten und als hätten sie zu warten, bis die Nachricht ihre Seelen erreicht hatte.
    Dann geschah etwas, was Müller erstaunte.
    Seine Mutter stieg aus, ging sehr aufrecht durch den Vorgarten, schloss die Haustür auf und sagte fast burschikos in der offenen Tür: »Ich koche uns erst einmal einen starken Kaffee, Junge.«
    »Das Leben geht weiter, nicht wahr?«, fragte er.
    »Ja«, sagte sie lächelnd. »Es ist ganz einfach, es geht weiter.« Mit diesen Worten verschwand sie in der Küche.
    Müller ging in das Arbeitszimmer seines Vaters und sah sich aufmerksam um. In diesem Raum hatte sich seit dreißig Jahren nichts verändert, wie immer roch es muffig.
    Müller rief seine Frau an.
    »Mein Vater ist eben gestorben. Kannst du bitte hierher zu meiner Mutter kommen?«
    »Und Anna-Maria?«
    »Die bringst du selbstverständlich mit.«
    Er erwartete Widerworte, Erschrecken, Widerstreben. Aber sie sagte nur: »Wir kommen.«
    »Wie heißt der Beerdigungsunternehmer?«, fragte er laut. »Der in der Masurenallee.«
    »Rentsch«, rief seine Mutter aus der Küche. »Rentsch heißt der. Ein sehr solider Betrieb. Wir müssen uns auch um eine Todesanzeige kümmern und so etwas.«
    »Das macht dann dieser Rentsch«, sagte er. »Hast du irgendetwas zu essen? Ich habe noch nichts gegessen.«
    »Ich mach dir ein Brot«, rief sie.
    Müller begann zu telefonieren, und er war dankbar für diese Aufgabe, denn sie lenkte ihn ein wenig ab.
    Wenig später kam die Mutter mit einem Brot und einem Becher Kaffee zu ihm und stellte beides vor ihn hin.
    »Und wer redet mit seinen Brüdern?«, fragte sie fast angriffslustig.
    »Das mache ich«, erwiderte Müller, der selbstverständlich aus langer Erfahrung wusste, dass seine Mutter die beiden Brüder des Vaters nie gemocht, sie manchmal sogar gehasst hatte. Er wusste nicht, warum dieser Hass aufgekommen war, er wusste nur, dass sein Vater sich darüber aufgeregt und seiner Mutter scharfe Vorwürfe gemacht hatte.
    »Sag mal, hat er eigentlich ein Testament aufgesetzt?«
    »Ja«, antwortete sie. »Es liegt da im Schreibtisch rechts in der dritten Schublade von oben. Und ich weiß, was drin steht. Ich erbe alles mit Ausnahme der Bücher. Die sollst du kriegen. Oder du kannst dir aussuchen, welche du haben willst. Das haben wir uns so ausgedacht.« Sie wirkte sachlich und erstaunlich heiter.
    »Was soll ich mit so vielen Büchern? Du lieber Himmel, dann muss ich ein Haus um die Bücher bauen.«
    »Na ja, du kannst auch dieses Haus haben.« Sie lächelte matt. »Du kannst es mir

Weitere Kostenlose Bücher