Ein guter Mann: Roman (German Edition)
alles aufgeschrieben. Wo soll ich es hinschicken?«
»Schick es hierher.«
»Damit deine Mutter es liest?«
»Sie weiß es schon, also kann sie es auch lesen.«
Sie ordnet, sie zieht glatt, sie macht eine Bilanz und steigt in die neue Phase ein, dachte Müller. So einfach ist das.
»Ich habe noch jede Menge Sachen im Haus. Einiges davon brauche ich«, sagte er mit trockenem Mund.
»Ja, gut. Ich stell dir das zusammen, und dann kannst du es abholen.«
»Wie ist das mit Anna-Maria? Ich möchte sie sehen. Wenigstens einmal pro Woche.«
»Sicher kannst du sie sehen. Wenn du in der Stadt bist. Das lässt sich einfach regeln. Wir telefonieren, und dann kannst du kommen und sie sehen.« Ihr Gesicht war weiß und voller Kanten.
»Du meinst, ich komme zu dir und sehe sie? Ich darf nicht mit ihr spazieren gehen oder so?«
»Spazieren gehen ist auch möglich. Sicher.«
Er wollte nicht mehr mit ihr reden, er hielt die Kälte nicht aus. Er sagte: »Ich gebe dir meine Telefonnummer, damit du mich erreichen kannst.«
»Ja, gut.« Dann wurde Melanie plötzlich wütend. »Ich will weg von diesem Haus. Deine Mutter behandelt mich, als wäre ich eine Schlampe. Und dann wollte ich nur noch sagen, dass ich nicht frigide bin, wie du anscheinend annimmst. Also, das bin ich einfach nicht, und du solltest das auch nicht bei deinen Kolleginnen und Kollegen rumerzählen, was Männer ja wohl immer tun. Ich hatte was mit Strothmann, dem vom Controlling, drei, vier Monate lang, fast jeden Donnerstagnachmittag, weil das terminlich gut hinkam. Ich bin ja schließlich nicht aus Eis. Nur, dass du das weißt. Und es hat mir nicht Leid getan.« Plötzlich weinte sie und sagte heftig: »Du bist ein unbeschreibliches Riesenarschloch, du hast mich total allein gelassen.« Sie stand auf und ging mit schnellen Schritten ins Haus.
Müller blieb lange Zeit sitzen, war wie betäubt. Endlich begann er zu lachen. Zuerst war es ein Glucksen, dann ein hohes Kichern, schließlich lachte er schallend und beugte sich dabei weit vor. Irgendwann weinte er, und er konnte gar nicht aufhören damit.
Auf einmal saß seine Mutter neben ihm auf der Bank, legte ihm einen Arm um die Schultern und sagte: »Ach, mein Junge, das wird schon wieder werden. Das Leben geht doch weiter, das Leben hört doch nicht auf. Ich glaube, es ist das Beste, ich schlage dir ein paar Eier in die Pfanne.«
Unvermittelt setzte sie wütend hinzu: »Vielleicht ist es ja besser so, wenn Melanie woanders lebt. Du weißt, dass Papa nie begeistert von ihr war. Vielleicht ist es besser. Und Anna-Maria ist ja nicht verloren.«
Sie gingen in das Haus zurück, und wenig später kam ein Bote mit den Drucksachen. Sie setzten sich an den Küchentisch und machten sich an die Arbeit.
Irgendwann schaute er auf die Uhr, es war 15.20 Uhr. Er fragte sich, was Karen tun mochte, er sehnte sich nach ihrer Stimme, ging in den Garten und rief sie an.
»Hier ist Karl«, sagte er langsam. »Ich will nur wissen, wie es dir geht.«
»Ich denke an dich. Den ganzen Tag schon. Wo steckst du?«
»Im Haus meiner Eltern. Mein Vater ist heute Morgen gestorben.« Ihre Stimme tat ihm gut, sie machte ihn ruhig.
»Oh, das ist schlimm.«
»Ja. Wie lief es bei dir?«
»Ich wollte gar nicht arbeiten, keine Leute treffen, ich war nicht richtig bei der Sache. Ich habe so gedacht … Aber hör mal, das interessiert dich doch jetzt gar nicht. Du hast doch weiß Gott andere Sorgen.«
»Ich rufe dich an, weil ich deine Stimme brauche.«
Eine Weile schwiegen sie.
»Das ist schön«, sagte sie leise. »Du sagst schöne Sachen so behutsam. Ich kann mir aussuchen, ob ich sie mag oder nicht. Weinst du?«
»Ich habe geweint, ja. Jetzt verwalte ich seinen Tod, jetzt kann ich ausweichen. Hast du schon jemanden verloren?«
»Ja, meine Mutter. Das war ganz schlimm. Wir hatten gerade beschlossen, dass sie mit mir in Frankfurt leben sollte. Sie fiel einfach um und war tot. Wir führten oft eine Art Zickenkrieg, und der fehlt mir jetzt.« Sie lachte ganz sanft.
»Und wohin verschwand Herr Swoboda?«
»Nach Australien. Er fand eine Witwe mit viel Geld.«
»Hast du ihn ausgehalten?«
»Ja, schon. Er liebte die Börse und behauptete jeden Tag, er werde am Abend ein reicher Mann sein. Und ich verdiente die Kohle, die wir brauchten, um die Miete zu zahlen.«
Müller riskierte die Frage: »Gibt es denn einen Lebensgefährten?«
»Gibt es nicht. Spätestens nach einem Monat wollen mir alle ins Geschäft reden, wissen alles
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