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Ein guter Mann: Roman (German Edition)

Ein guter Mann: Roman (German Edition)

Titel: Ein guter Mann: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jacques Berndorf
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eine unerklärliche Angst, die so intensiv war, dass er schnell aus der Dusche trat, weil er glaubte, er kriege keine Luft mehr.
    Er kochte sich drei Eier hart, strich sich Butter auf ein Brot, machte sich einen Kaffee und setzte sich dann in der Unterhose an den niedrigen Tisch.
    Er hörte im Radio den wütenden Kommentar eines Redakteurs, der der Regierung vorwarf, keine Rezepte zu haben und zum Raub des Kobalt 60 keine eindeutige Stellung zu beziehen.
    Als das Telefon schrillte, war es 4.15 Uhr.
    »Also, wir haben eine Marschroute bezüglich Pasewalk«, sagte Krause. »Entschuldigung, dass ich Sie zu nachtschlafender Zeit anrufe, aber ich fürchte, später wird es mir nicht mehr gelingen.«
    »Das geht in Ordnung«, sagte Müller. »Ich habe schon etwas länger ausgeschlafen.«
    »Gut. Wir arbeiten in drei Wellen. In der Gegend fallen Fremde auf, dort fällt jeder auf, der mit mehr als zwei Begleitern unterwegs ist. Und: Wir haben tatsächlich eine Spur in Richtung Pasewalk. Ein vollkommen Irrer hat angerufen und behauptet, die Russen, die wir suchen, seien ihm im Traum erschienen und hielten sich in einer abgelegenen Scheune verborgen. Wie auch immer. Die dort liegende Bundeswehr geht bereits ab fünf Uhr morgens mit vielen Patrouillen ins Gelände. Was immer sie sehen mögen, sie werden nicht reagieren und so tun, als hätten sie nichts gesehen. Dann kommen in der zweiten Welle wir mit etwa zwanzig zivilen Fahndern, die natürlich nicht rudelweise auftreten, sondern vereinzelt. Was immer sich daraus ergeben mag, wir werden ständig unterrichtet sein. Die dritte Welle besteht in einem SEK, dem Sie angegliedert sind – embedded, wie es in der neudeutschen Sprache so schön heißt. Diese Leute werden sich auf Ziele konzentrieren, hinter denen sich möglicherweise etwas verbirgt. Das heißt, Sie werden die alten Klamotten tragen, die Ihnen vertraut sein dürften. Und ich verbinde damit die inständige Bitte, dass Sie nicht den Helden spielen. Sie sind nur Gast. Dieses SEK hat auch Detektoren bei sich, die Strahlung messen können. Ich habe mich mit dem SEK darauf einigen können, dass Sie um fünfzehn Uhr hier bereitstehen und aufgenommen werden. Ist das okay?«
    »Ja, das ist in Ordnung«, sagte Müller. »Wer leitet das SEK?«
    »Ein Mann namens Schneider. Der behauptet, Sie von früher zu kennen.«
    »Ja, ich erinnere mich. Noch eine Bitte. Das bisher vorliegende Material über Helmut Breidscheid ist zu vage. Ich würde anregen, eine große Personenanfrage zu starten. Was ich gelesen habe, ist nichts sagend. Er ist ein stinkreicher Typ, der stets und ständig auf der ganzen Welt Geschäfte macht, Waisenhäuser finanziert, von der katholischen Kirche in den Himmel gehoben wird, blablabla. Da hätte ich gern mehr.«
    »Goldhändchen ist bereits auf der Spur«, sagte Krause. »Die große Personenanfrage unterschreibe ich. Ich habe den Treffbericht Damaskus gelesen. Gute Arbeit.« Dann unterbrach er.
    Müller aß geruhsam zu Ende und stellte fest, dass seine Gelassenheit langsam zurückkehrte. Er hielt sich die linke, dann die rechte Hand vor Augen und konnte kein Zittern mehr feststellen.
    Als er das Haus verließ, war es 5.15 Uhr.
    Er erinnerte sich an die alte kleine Kirche dicht bei seinem Elternhaus, in die er gegangen war, wenn eine schwierige Mathematikarbeit in der Schule anstand. Tatsächlich war sie alt, schäbig und völlig schmucklos. Niemand feierte dort mehr einen Gottesdienst, und nur einem alten Bürgerverein war es zu verdanken, dass sie nicht längst abgerissen war. Müller verband mit dieser kleinen Backsteinkirche eine sehr lange, persönliche Geschichte. Niemals hatte er das, was er in dieser Kirche tat, als Gebet bezeichnet, er hatte es immer nur als eine Möglichkeit gesehen, sich selbst infrage zu stellen und herauszufinden, was ihn trieb. Mit einem Lächeln erinnerte er sich an seinen Vater, der einmal aufgebracht geäußert hatte: »Wenn du in dieser Kirche bist, weil du klar sehen willst in deinem Leben, dann ist das, was du dort verrichtest, ein Gebet.« »Nein«, hatte er erwidert. »Ich bete nicht, ich flehe niemanden um Hilfe an, niemand soll mich stark machen, ich bin nicht hilflos. Ich kann nur die Stille ausnutzen, um intensiver an mich selbst heranzukommen.«
    Jetzt hockte er wieder in diesem Rest von Kirche, in dem nur zwei Bankreihen geblieben waren und ein großer, blank liegender Klotz aus rotem Sandstein, der einmal der Altar gewesen war. In dem kleinen Altarraum hatte jemand

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