Ein guter Mann: Roman (German Edition)
und sie gingen.
Im Lift fragte sie: »Hast du irgendetwas mit dieser Sache zu tun, bei der radioaktive Stoffe geraubt wurden?«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil das Fernsehen voll ist davon. Und sämtliche Zeitungen.«
»Nur am Rande«, antwortete er. »Ich würde gern vierzehn Tage Urlaub machen mit dir. Am liebsten in einem alten Bauernhaus im Alpenvorland.«
»Wieso Alpen?«
»Ich weiß es nicht, mir war gerade danach.«
Sie steckte die Karte in den elektronischen Öffner. Im Zimmer drehte sie sich zu ihm.
»Können wir uns einigen? Ich meine, würdest du mir den Gefallen tun und ganz vorsichtig mit mir umgehen?«
»Bin ich grob gewesen?« Er zog das Hemd aus.
»Nein. Ich will es nur gesagt haben. Weißt du, für mich bist du etwas Kostbares, auch weil ich manchmal denke, dass du dich irgendwann in Luft auflöst.«
»Aber ich löse mich nicht in Luft auf.«
»Es könnte doch sein«, murmelte sie und bückte sich, um die Hose von ihrem Anzug aufzuheben. »Ich liege hier im Bett und rieche dich noch. Und du ziehst dich an, gehst zur Tür und lächelst mir zu. Und das war es dann, weil irgendjemand bestimmt hat, dass du irgendwohin fliegst, weit weg, für eine lange Zeit.« Sie setzte sich nackt auf das Bett und lächelte zu ihm hoch.
»Hör zu«, sagte er und kniete vor ihr nieder, »vielleicht sollten wir die Geschichte zwischen uns nicht zerreden. Ich bin so dankbar, dass es dich gibt, und ich werde Wege suchen. Und ich werde Wege finden. Aber ich will mich nicht in Luft auflösen.«
Er sagte: »Ich bin vollkommen erschöpft, ich muss eine Weile schlafen.« Er legte seinen Kopf auf ihre Brust. »Eine Stunde, mehr nicht. Und dann musst du mich wecken. Ich muss noch alles Mögliche organisieren.«
»Ich wecke dich«, beruhigte sie ihn sanft.
SECHSTER TAG
Diesmal kamen beide Träume, diesmal mischten sie sich, und es gab es keine Flucht.
Es herrschte Halbdunkel, und er stand mit Gerd, den sie Gerry nannten, vor der Tür mit den dicken Milchglasscheiben. Er hatte die Griffe der Ramme ganz fest in beiden Händen. Gerrys Gesicht war dicht vor seinem, und sie ließen die Ramme langsam nach außen schwingen. Dann nickte Gerry, und sie schoben die Ramme mit aller Gewalt nach vorn. Er hörte, wie das dicke Glas zerbarst, er sah, wie die Tür aufsprang und wie sein rechter Arm dicht am Handgelenk in das Glas hineinfuhr. Es war ein unglaublich heißes Gefühl, und das Blut kam sofort und sah hellrot aus. Es sprudelte aus dem Arm, war nicht zu stoppen, und jemand hinter ihm sagte: »Oh Gott, was ist das?«
Dann schossen die Männer an ihm vorbei in den Raum, und er sackte ganz langsam an der Wand in seinem Rücken herunter. Gerry murmelte hilflos: »Du brauchst Hilfe, Kleiner.« Sie nannten ihn alle Kleiner.
Das Licht blieb, es wurde nur ein wenig blauer. Er bewegte sich jetzt allein, der Flur vor ihm war seltsamerweise mit alten Säcken verhängt, die nach oben ins Endlose führten. Er trug die Waffe mit beiden Händen, und jemand vor ihm sagte: »Du blutest ja wie ein Schwein.« Er kannte den Mann nicht, hatte ihn noch nie gesehen. Er sah, wie das Blut aus der Wunde lief und wie ein Rinnsal davon auf die Waffe tropfte, und er hatte plötzlich eine panische Angst davor, die Waffe könne versagen.
Vor ihm war ein helles Viereck, dahinter waren die Geiseln und die Geiselnehmer. Das war ganz sicher, das hatten sie herausgefunden. Der Mann vor ihm drehte sich um und flüsterte: »Den Rest machst du!« Und dann schlug der Mann einen der Säcke beiseite und verschwand dahinter.
»Das ist gegen den Plan!«, sagte er, aber es war niemand da, der ihn hören konnte.
Dann füllte ein Mann die Türöffnung vor ihm. Und der Mann hob unendlich langsam beide Hände. Und er hatte irgendetwas in den Händen, natürlich eine Waffe, was sonst. Müller schoss. Er war ganz sicher, nur einmal geschossen zu haben, aber das Hemd des Mannes vor ihm sprang auf und entblößte seinen weißen Körper. Und der Körper hatte Löcher, unendlich viele Löcher, und aus allen Löchern sprudelte ihm Blut entgegen, und Müller glitt aus, weil so viel Blut auf dem Boden war.
Dann sah er, dass er durch eine sumpfige Flüssigkeit ging, in der sich Tiere bewegten, dicke, weiße, quabbelige Tiere. Maden von riesigem Ausmaß. Und Müller drehte sich herum, um aus der Flüssigkeit zu entkommen, und schrie. Da war niemand, der ihn hören konnte.
»Mein Gott!«, rief Karen laut. »Karl! So hör doch!«
Er stand am Kopfende des Bettes in
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