Ein guter Mann: Roman (German Edition)
den Kissen, und er wusste augenblicklich, wo er war.
Er seufzte angewidert: »Nein!«
»Was ist denn, Liebster?«
»Ich … ich weiß es nicht.«
»Das ist ja furchtbar. Du hast geschrien, richtig schlimm geschrien. Was war denn?«
»Ein Polizistentraum«, sagte er hohl. Dann ließ er sich in die Knie sinken und verfluchte die Minute, in der er Karen zum ersten Mal gesehen hatte. Er sagte mit trockenem Mund: »Ich schäme mich so.«
Sie war blass und zitterte. Sie nahm eine Decke und legte sie sich um die Schultern.
Es war drei Uhr.
»Aber warum? Ich bin es, Karen.«
Er atmete schwer und hastig und antwortete nicht.
»Was ist ein Polizistentraum?«, fragte sie eindringlich.
»Ich war einmal ein Polizist«, sagte er und hatte Mühe, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen.
»Und was ist da passiert?«
»Ich habe einen Mann erschossen.«
»Ja? Und?«
»Er war verheiratet und hatte zwei Kinder.«
»Du erschießt doch nicht einfach einen Mann. So etwas macht niemand. Karl, tu mir einen Gefallen und rede mit mir.«
»Es ist so schwer«, murmelte er. »Alles ging schief.« Sein Atem hatte sich beruhigt. Er saß mit gekreuzten Beinen auf dem Kopfteil des Bettes und starrte in eine Landschaft, die niemand außer ihm sehen konnte. »Später kamen dann Träume. Sie hören nicht auf.« Er sah sie an. »Es tut mir Leid. Ist da in der Minibar ein Whisky oder ein Kognak?«
»Ich schaue nach«, sagte sie. Sie glitt vom Bett. »Es ist beides da.« Sie hielt zwei kleine Fläschchen hoch.
»Den Kognak, bitte.«
Sie goss ihn in einen kleinen Kognakschwenker und reichte ihn über das Bett.
»Danke«, sagte er und trank. Aber es half nicht, zurück blieb ein schaler Geschmack.
»Hast du denn keinen Therapeuten bekommen?«
»Nein, habe ich nicht. Die Untersuchungskommission hat mir eine Belobigung ausgesprochen, und wir haben nicht weiter darüber geredet.«
»Das müssen Arschlöcher gewesen sein.« Ihre Stimme war sehr hart und endgültig.
Er antwortete nicht, sondern starrte nur auf das Bettlaken, gefangen in seinem schlechten Traum. Er schüttelte sich, er fror jetzt auch.
Nach einer Unendlichkeit sagte er: »Ich muss gehen.«
»Aber was willst du mitten in der Nacht?«
»Überlegen«, erwiderte er. »Mir den Kopf freischaufeln. Mich darauf vorbereiten, dass mein Vater gleich beerdigt wird. Meiner Mutter beistehen. Leuten die Hand geben, die ich nicht mal kenne. Meine Tochter wieder sehen, Phrasen dreschen.« Er schluchzte trocken. »Und natürlich an dich denken.« Dann sah er sie an. »Ich muss hier raus, ich kriege keine Luft.«
»In Ordnung. Und melde dich mal, wenn es geht.« Sie war betroffen und verstört, sie bemühte sich, ihn zu verstehen, und sie spürte, dass sie ihn nicht verstehen konnte. Es gab zu vieles, nach dem sie fragen wollte, und er hatte keine Zeit für die Antworten.
Sie sah ihm zu, wie er sich anzog.
»Musst du auch in diese Wohnung, die du nicht magst?«
»Ja, muss ich auch.«
Er küsste sie lange und hielt sie umfangen, dann ging er.
Im Osten war ein sanfter Schimmer des Tages, in einer flachen Pfütze badeten Spatzen, er atmete tief durch. Er fuhr vorsichtig, weil er noch immer zitterte.
Er stellte das Auto auf dem Innenhof ab, stand dann in seiner Behausung und fragte sich, warum er Karen so schnell hatte verlassen müssen. Er antwortete: weil ich nicht will, dass ein Mensch so nah an mich herankommt.
Er hockte sich in den scheußlichen Sessel und sah über die Straße hinweg einem Mann zu, der sich gemächlich anzog und dazu aus einem Becher trank. Dann ging in der Etage unter dem Mann das Licht an, und eine junge Frau zog Vorhänge vor, um ungestört zu sein.
Müller dachte an seine Zeit beim SEK der Polizei und daran, dass sich schon damals gezeigt hatte, dass es wenig Sinn hatte, eine Familie zu gründen, wenn man ihr nichts von dem mitteilen konnte, was einen umtrieb.
Wahrscheinlich war es nur logisch, dass er Karen ausradierte, dass er irgendeine Entschuldigung vorbrachte, ihr versprach, sich zu melden, um sie dann einfach zu vergessen.
Er zog die Vorhänge vor und kleidete sich dann aus, um zu duschen. Unter dem heißen Wasser ließ er sich Zeit, bis sich die Verkrampfung etwas löste. Er dachte an Nour und an Achmed und daran, dass die Zeit ihrer Unschuld ein für alle Mal vorbei war. Als er sich auf Achmed konzentrierte, ertappte er sich dabei, dass er mit ihm redete, als sei er tot. Dann wanderten seine Gedanken zu seiner Tochter Anna-Maria, und er bekam
Weitere Kostenlose Bücher