Ein gutes Herz (German Edition)
hatte er darüber gemacht. Und Filme. Eigentlich ging es immer um den Tod. Das sei das Einzige, worüber ein Künstler etwas zu sagen habe, hatte er gedacht. Ein Witz! Er hatte rein gar nichts darüber zu sagen. Ein Schaumschläger war er gewesen. Épater la bourgeoisie – im ausgehenden neunzehnten Jahrhundert hatten dekadente französische Dichter entdeckt, dass man durch die Beleidigung von Bürgern zum bürgerlichen Antihelden werden konnte. Was er getan hatte, war nichts anderes. Beleidige, und schick eine Rechnung. Aber jetzt wusste er, was er damals nicht gewusst hatte, und wenn er es gewusst hätte, hätte er es zeitlebens nie und nimmer eingeräumt, weil er damit seine Daseinsberechtigung verloren hätte. Jetzt wusste er, dass ein Künstler nur etwas über das Leben zu erzählen hatte.
Nachdem er gestorben war, kam er in einer neuen Umgebung an, und das Wundersame war, dass er dort kommunizieren konnte. Es spielte keine große Rolle, welche Sprache man sprach, hier lief alles mittels Techniken und Methoden, die er auf der Erde nicht gekannt hatte. Er fragte sich gelegentlich, wie er den Lebenden auf der Erde sein Dasein hier erklären könnte. Das würde wohl nur mit Hilfe von bildlichen Veranschaulichungen gehen. Anders ließ sich seine neue Welt nicht vermitteln.
Also beschrieb er das Ganze wie folgt: Er habe ein eigenes Zimmer mit weißen Wänden und ausgetretenem Parkettboden, der Unterkunft in einer Kaserne nicht unähnlich. Durch ein Fenster mit Eisenrahmen blicke er auf flaches, sandiges Gelände hinaus, an dessen Rändern etwas Gras sprieße. Andere Enthauptete, Leidensgenossen von ihm, liefen ohne Sinn und Verstand dort umher – na ja, laufen täten sie nicht wirklich. Sie seien dort, in ihrer ganzen hoffnungslosen Verunstaltung und ohnmächtigen Entwurzelung.
Theos jetziger Berater hieß Jimmy Davis. Er war hartnäckiger als die ganze Batterie von Vorgängern, die Theo schon verschlissen hatte. Jimmy Davis. Ein attraktiver Schwarzer. Immer hübsch postmodern in Schwarz gekleidet – so zumindest hätte Theos Urteil gelautet, wenn er sich denn einen optischen Eindruck von ihm hätte verschaffen können.
Gestern hatte Jimmy Davis gefragt: »Was willst du, Theo?«
»Meinen Körper«, hatte Theo geantwortet.
»Das schwere Ding mit all dem Fett?«
»Ich mag das Fett. Es stand mir gut.«
»Ja, als Schwein hättest du eine gute Figur gemacht.«
»Lass mich doch ein Schwein sein. Das hat niemanden gestört.«
»Niemanden gestört? Wieso bist du dann hier gelandet, Theo?«
»Das war die Schuld von einem Scheißmarokkaner.«
»Hattest du es nicht selbst herausgefordert?«
Theo wurde giftig. »Ach, ich habe also selbst Schuld, dass mir das angetan wurde, ja? Komm, ich habe gegen diese religiösen Irren Stellung bezogen, und so ein religiöser Irrer hat mir aufgelauert. Es war gut, sich auf die Seite dieser somalischen Prinzessin zu schlagen. Dieser Irre hat doch genau das bestätigt, wovor ich gewarnt habe! Ist doch gut, dass ich recht behalten habe, oder?«
Er zündete sich eine Zigarette an. Auch hier rauchte er. Er rauchte immer.
Sie saßen in Theos Zimmer. Er hatte stangenweise Zigaretten, sämtliche schweren französischen Sorten. Sie gingen nie aus. Auf dem Tisch stand ein Royal Salute von Chivas Regal, mehr als fünfzig Jahre alter Whisky. 2002, zwei Jahre vor seinem Tod, hatte der Brauer zu Ehren des fünfzigjährigen Kronjubiläums von Königin Elizabeth 11. zweihundertfünfundfünfzig Flaschen von diesem exklusiven goldenen Nass abgefüllt. Theos Flasche war immer voll – so jedenfalls sein Empfinden. Unten auf der Erde kostete die Flasche siebentausend Euro. Tot zu sein hatte in dieser Kaserne durchaus seine positiven Seiten.
»Ja, du hattest recht«, sagte Jimmy. »Also bist du dank deiner Rechthaberei hier gelandet.«
»Ich weiß. Scheißdeal«, antwortete Theo resigniert.
»Du hast gelebt wie ein Tier. Du hast dich benommen wie ein Tier«, sagte Jimmy.
»Was geht dich das an? Hab ich dich damit belästigt?«
»Mein lieber Theo, dass mich das etwas angeht, erschließt sich aus dem Umstand, dass wir uns hier gegenübersitzen und ich einen Bericht über deine Fortschritte schreiben soll. Deine Angelegenheiten sind meine Angelegenheiten.«
»Warum tust du das? Macht dich das glücklich?«, fragte Theo, während er Jimmy den Rauch ins Gesicht blies.
»Ja, das macht mich glücklich«, antwortete Jimmy ungerührt. Er fächelte den Rauch weg. »Hör zu, Theo… Nicht alle sind
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