Ein gutes Herz (German Edition)
so nachgiebig wie ich. Du hast nur noch deinen Kopf, aber es gibt hier auch Vertreter, die selbst den nicht mehr haben. Die wirklich nur ihr nacktes, krankes, armseliges Selbst sind. Ich bin davon überzeugt, dass du wieder vollständig werden kannst. Nicht unten. Wer einmal oben ist, kann nicht zurück. Das ist nicht nur eine alte Regel, an die man sich hier hält, sondern das geht auch rein physisch nicht. Doch es gibt Möglichkeiten der Heilung. Wenn du Wert darauf legst, wieder eins zu werden mit deinem hässlichen Körper, wenn du dich wieder als geheilt erfahren möchtest, musst du dich dafür ins Zeug legen.«
»Was ist denn das hier für eine Klinik?«, fragte Theo heiser. »Evangelisch, buddhistisch, oder wird sie von der Krankenversicherung der Ziegenwollsockenträger finanziert?«
»Das ist das Totenreich, Theo. Akzeptier das. Wir sind hier nur der Empfang. Nach all den Jahren stehst du im Grunde noch vor der Portiersloge. Ein Verwaltungsbereich ist das hier, du wirst hier durchleuchtet, und man prüft, ob und wie du weiterdarfst. Möchtest du ankommen?«
Theo nickte. Aber er war böse und missgünstig. Er wollte seinen Sohn in die Arme schließen können. Er wäre lieber bei seinem Kind gewesen. Das hatte er schon gewusst, als er noch am Leben gewesen war. Und er wusste es jetzt mit der größten Gewissheit, die es gab. Der Gewissheit eines Toten. Er vermisste sein Kind.
»Du kannst dich hier von allem Ballast befreien, Theo. Du kannst weiterkommen. Aber das musst du selbst tun.«
»Lieber Pater, das ist doch alles neoreligiöses, esoterisches Geschwätz.«
»So redet man hier, Theo. Ich muss mich auch daran gewöhnen.«
»Gibt es kein Totenreich für Typen wie mich?«, fragte Theo.
Jimmy grinste. »Nein. Wir machen keine Unterschiede zwischen den Toten. Für uns sind alle gleich.«
Jimmy Davis hätte Filmstar sein können mit seinem ebenmäßigen Gesicht und seinen klaren, ironisch blitzenden Augen.
Theo fragte: »Bist du ein Engel?«
»Nein. Die Ausbildung habe ich nicht. Ich bin wie du. Ein gestorbener Mensch.«
»Was warst du unten von Beruf?«
»Ich war Priester«, antwortete Jimmy. »Franziskaner.«
»O nein«, stöhnte Theo laut.
Jimmy musste herzlich lachen. Schöne, regelmäßige Zähne hatte er. Er sagte: »Ich habe deine Akte gelesen. Auf ›Christenhunde‹ warst du unten nicht gut zu sprechen.«
»Heuchler«, sagte Theo. »Pädophile Heuchler.«
»Ich habe gesündigt«, räumte Jimmy nickend ein, »aber ich war nicht pädophil. Ich liebte Frauen.«
»Hast du mit ihnen geschlafen?«
»Ja«, gestand Jimmy.
»Das Zölibat!«, schleuderte Theo ihm ins Gesicht.
»Das war schwer.«
»Vater Jim, warum bist du Priester geworden, wenn du doch wusstest, dass du dann nicht vögeln darfst?«
»Ich wollte ein guter Mensch sein.«
»Und dafür brauchtest du eine schwarze Kutte und einen weißen Kragen? Den du jetzt im Übrigen abgelegt hast. Schönes Hemd. Seide?«
»Ja. Handgesponnen.« Jimmy rieb mit einem Finger über das feine, glatte Gewebe – im übertragenen Sinne natürlich.
Theo fragte: »Du hättest doch auch einfach nach Afrika gehen und dich dort für Aussätzige und Lahme einsetzen können. Dafür braucht man doch keinen Vatikan!«
»Ich brauchte die Kirche.« Jimmy las das Etikett auf der Flasche. »Donnerwetter, das ist ein exklusiver Whisky. Gib mir auch mal einen Schluck.«
»Zweihundert Euro pro Schluck.«
»Unten, hier nicht«, erwiderte Jimmy.
Theo schenkte ihm ein – ohne Hände. Jimmys Glas füllte sich.
Jimmy sagte: »Wir haben über dich konferiert.«
»Schön zu hören, Herr Pastor.«
»Ich bin kein Pastor.«
»Dann eben Vater Jim.«
»Nenn mich auch nicht Vater.«
»Dann Franziskaner.«
»Das war ich mal. Hier bin ich dein Berater, eine Art Bewährungshelfer. Nenn mich einfach Jimmy, der Name genügt.«
»Ihr behandelt mich, als wäre ich ein Verbrecher.«
»Du warst unmoralisch.«
»Amoralisch. Das ist was anderes«, korrigierte ihn Theo.
»Unmoralisch, finden wir«, beharrte Jimmy. »Du hast das eine und andere zu berichtigen. Unten. Also gestatten wir dir zu kommunizieren.«
»Kommunizieren?«
»Du darfst Kontakt herstellen.«
»Kontakt herstellen? Zu… zu unten?«, stammelte Theo.
Jimmy nickte.
»Und unten wissen sie das?«
Jimmy schüttelte den Kopf: »Nein. Es wird eine Kommunikation geben. Aber keine direkte. Du sollst unten etwas Gutes tun.«
»Und das wird mir hier vergolten?«
»Ja. Du darfst dir deinen Körper
Weitere Kostenlose Bücher