Ein Hauch Vanille (German Edition)
den
Ölofen anzufeuern. Vorbei die Zeit, als wir einfach nur die Heizung aufdrehen
mussten, dachte ich wehmütig an die Stadt zurück, die mir schon ganz weit weg
vorkam. Als ich die leere Verpackung, die stark nach Kerosin roch, in den
Händen hielt, öffnete ich meine Zimmertür.
„Hast du noch Anzünder?“ rief ich lautstark in Richtung Roberts Zimmer.
Kurz darauf kam Robert mit einer vollen Packung in der Hand zu mir hinüber und
lehnte einen Arm um meine Schultern. Mit einem Augenzwinkern reichte er sie mir.
„Bitteschön, Schwesterlein“, säuselte er.
„Dankeschön“, antwortete ich und knickste im Spaß. Schnell entfachte ich einen
Anzündwürfel und warf ihn in den Ofen. Woam! Eine blaue Flamme flackerte auf.
„Wann wollen wir denn endlich in den Wald gehen, es gibt doch sicher schon die
ersten Pilze?“ fragte ich sehnsüchtig, während ich die Flamme durch die obere
Öffnung des Ofens nicht aus den Augen ließ. Am liebsten wäre ich ja sofort
losgestiefelt, denn mit dem “in die Pilze gehen“ verband ich die schönste Zeit
meiner Kindheit. Einer Zeit, zu der wir mit unserem leiblichen Vater auf der
Suche nach Pilzen durch die Wälder streiften. Zu jener Zeit, als man mich noch
Püppi, anstatt Dicke nannte.
Doch Robert winkte ab. Mit betrübter Miene drückte er seinen Arm fest um mich.
„Das wird heute nichts, ich muss noch ein Referat für die Schule fertig
machen“, sagte er und war auch schon wieder im Begriff zu gehen.
„Mhm, wäre ja auch zu schön gewesen…“ , brummte ich und schaute ihm nach,
während er zur Tür hinaus ging.
„Aber Morgen gehen wir, versprochen!?“ rief ich ihm noch hinterher. Er drehte
sich um, doch als einzige Antwort erhielt ich nur ein mitleidiges Lächeln.
Am nächsten Tag startete ich nach der Schule wie angekündigt einen erneuten
Versuch. Voller Vorfreude und Tatendrang lächelte ich Robert an, als ich in
sein Zimmer trat.
„Auf, auf, in die Pilze!“ rief ich und klatschte in die Hände. Doch Robert saß
gedankenverloren an seinem Schreibtisch und nahm keine Notiz von mir. Verblüfft
starrte ich ihn von der Tür aus an und wartete auf eine Reaktion. Nach einer
Weile hob er endlich den Kopf, aber nur, um mir den Wind aus den Segeln zu
nehmen.
„Das kannst du vergessen! Michael hat mich zum Rasen mähen verdonnert“. Er
blickte mich mit verbitterter Miene an, dann widmete er sich wieder seinen vor
ihm liegenden Hausaufgaben.
Meinen schweren Schulrucksack, den ich nun statt dem auffälligen weißen Koffer
benutzte, glitt ich enttäuscht zu Boden und zog die Stirn in Falten.
„Seit wann haben wir denn einen Rasenmäher?“ fragte ich verwundert. Robert
rollte mit den Augen.
„Rasenmäher? schön wär´s, mit der Sense!“ Verärgert raufte er sich die Haare,
worauf aus meinem Gesicht sämtliche Kraft wich.
„Was?
Spinnt der?“, mitfühlend strich ich Roberts Oberarm entlang, dann sah ich ihn
ungläubig an. „Und seit wann haben wir eine Sense? Und wann hast du gelernt
damit umzugehen?“ Robert zog die Augenbrauen hoch.
„Ach,
kennst doch Michael! Das lernst du schon, Dicker! hat er zu mir gesagt“.
Dabei äffte er Michaels Stimme perfekt nach “.Die Sense hat er hier im Schuppen
gefunden, das ist so ein uraltes Ding. Wahrscheinlich aus dem letzten
Jahrhundert und eher ein Fall fürs Museum. Die muss ich erst mal irgendwie
scharf kriegen, damit die überhaupt irgendetwas absäbelt. Der Rasen ist ja
mindestens einen halben Meter hoch und so wie der aussieht, ist er in den
letzten zwei Jahren nicht mehr gemäht worden.
“Verständlicherweise
war Robert wütend, aber andererseits auch enttäuscht. Denn wieder war er es, an
dem die ganze körperliche Arbeit hängen blieb. Schließlich hatte sich Michael
diesen riesigen Garten gewünscht, der erschwerend auch noch steil bergauf ging,
doch mähen wollte er ihn nicht.
„Kann ich dir irgendwie dabei helfen?“ fragte ich mitleidig, aber auch vorher
schon war mir klar gewesen, dass Robert keine Hilfe annehmen würde. Jetzt würde
er Michael auch beweisen wollen, dass er es ganz allein schaffen würde. Schon
immer war er ein Einzelkämpfer
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