Ein Hauch Vanille (German Edition)
und hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als
um Hilfe zu bitten. Wie es in Roberts Natur lag, fand er sich nach kurzer Zeit
mit seiner neuen Aufgabe ab und schlimmer noch, er fand sogar Gefallen daran.
Ja, es machte ihm regelrecht Spaß. Was Michael gar nicht gerne sehen würde.
Denn Spaß sollte es ihm natürlich nicht machen. Also mäkelte er an seiner
Schnitttechnik und an der Länge des abgeschnittenen Grases herum. Woraufhin
Robert ihm die Sense vor die Nase hielt.
“Wenn du es besser kannst, nur zu!“
Doch Michael trat schnell den Rückzug an und schüttelte den Kopf.
„Nee nee…,“ sagte er und flugs war er auch schon wieder im Haus verschwunden.
„Geht doch“, grinste Robert und wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
„So ein Mist, das wird ja nie was“, resignierte ich.
Da
Michi gerade mit seinem Vater fern sah, schien mir die Gelegenheit günstig,
einfach allein in die Pilze zu gehen. Nur mal nachsehen, ob es überhaupt schon
welche gibt, mehr nicht. Ich müsste mir nur den Weg genau einprägen, da ich
mich aufgrund meines schlechten Orientierungssinns schnell im Wald verlief.
Denn im Falle eines Falles laufe ich grundsätzlich in die verkehrte Richtung.
Selbst wenn ich davon ausgehe, dass es die falsche Richtung ist und ich mich
dann für den anderen Weg entscheide, bin ich trotzdem wieder auf dem Holzweg, was
doch jeder Logik widerspricht. Jedenfalls meiner. Aber soweit würde ich es
diesmal nicht kommen lassen, diesmal würde ich mich nicht wieder selbst
überlisten.
Im
tiefstehenden Sonnenlicht lief ich den Schotterweg in Richtung Wald entlang.
Das blass rote Licht katapultierte mich kurz in meine Kindheit zurück. Mit
geschlossenen Augen blieb ich einen Moment lang stehen und erinnerte mich an
das Treppenhaus unserer alten Wohnung zurück, in dem ich im Alter von fünf
Jahren, fasziniert vom Farbenspiel der Sonne, gebannt vor der großen
Fensterfront im Hausflur saß. In der rötlichen Abenddämmerung, die das gesamte
Treppenhaus einhüllte, kam mein Vater von der Arbeit die Treppe hinauf und
strich mir liebevoll über die Wange.
„Na Püppi“, begrüßte er mich auf die Stirn küssend, mit dem breitesten Lächeln das
ich jemals gesehen hatte und schaute mir noch lange nach, bevor er in die
Wohnung verschwand. Es war, als würde er genau wissen, dass ich mich später
immer daran erinnern würde.
Als
ich die Augen wieder öffnete, blickte ich direkt ins Sonnenlicht. Hoffnung auf
ein lebenswerteres Leben, auf bessere Zeiten keimte in mir auf. Auf einmal
fühlte ich mich so lebendig wie schon seit Jahren nicht mehr. Auch die Luft
kam mir jetzt viel klarer als sonst vor. Vielleicht lag es auch einfach nur
daran, dass es heute mal nicht nach Gülle roch. Erleichtert
nahm ich einen tiefen Atemzug. Ich blickte mich um, weit und breit war niemand
zu sehen. Ich folgte dem Weg, bis sich rechts und links neben mir ein Mischwald
aus Buchen-, Eschen-, und Fichtenbäumen erstreckte, welches mir ein
vielversprechendes Pilzgebiet zu sein schien. Während ich meine Gummistiefel
gerade noch laut schlürfend über den Schotter zog, wurde mir plötzlich bewusst,
dass ich hier ganz allein unterwegs war. Ich schluckte, denn auf einmal wurde
mir ganz mulmig zumute. Innerlich fühlte ich mich wie ein verängstigtes Kind
und sah mich selbst als Appetithäppchen auf einem großen Präsentierteller.
Ängstlich sah ich mich um und lauschte. Doch außer dem Gesang der Singdrossel,
die hoch oben aus den Baumspitzen trällerte, war nichts Verdächtiges
auszumachen. Trotzdem folgte ich lieber meinem Instinkt und beschloss im Schutze
des Waldes weiterzugehen und hielt nach einem geeigneten Eingang Ausschau.
Neben einem aufgetürmten Stapel Stammholz erspähte ich einen schmalen
Trampelpfad hinter einem grünbewachsenen Graben. Mit einem Satz sprang ich
hinüber und landete prompt in den Dornen einer Brombeere. Kaum hatte ich mich
durch sie hindurch gekämpft, verfingen sich meine Gummistiefel nun in den
Kletten des am Boden wuchernden Labkrauts, das mich regelrecht zurückzuhalten versuchte.
Um mich aus ihren Fängen zu
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