Ein Hauch Vanille (German Edition)
befreien, zerrte ich auf einem Bein stolpernd an
meinem Stiefel, bis ich die ersten Bäume des Waldes halb fallend passierte. Der
intensive Pilzgeruch ließ meinen Blick wie automatisch, an heruntergefallenen
Bucheneckern und kleinen Sämlingen vorbei, den moosigen Boden entlang wandern.
Währenddessen ich durch die dünnen Sohlen meiner Gummistiefel jede einzelne
Tannenzapfe spürte, fielen mir die leuchtend orangefarbenen Ziegenbärte ins
Auge, die mich eher an Korallen, als an Bärte von Ziegen erinnerten. Trotz der
enormen Auffälligkeit dieses Pilzes, gab es von ihm doch einen giftigen Doppelgänger
und da ich schon immer eine vorsichtige Natur war, sammelte ich nur Pilze, die
unverwechselbar und leicht zu erkennen waren. Wie Maronen, Goldröhrlinge,
Birkenpilze, Butterpilze oder Braunkappen. Das waren die Pilze, die ich ganz
sicher erkannte. Doch meine allererste Wahl fiel immer auf den Steinpilz. Hier
jedoch überhaupt einen Pilz zu finden, erwies sich als äußerst schwierig, da
sich jedes Blatt vor meinen Augen in einen Pilz verwandelte.
Ich folgte meiner Nase, die einen immer intensiveren Pilzgeruch witterte, wie
in einem Rausch, der sogar die Angst von eben völlig verschwinden ließ. Und
auch diesmal enttäuschte mich mein Gespür nicht. Denn da stand er, ganz allein,
fast wie extra für mich dorthin gepflanzt. Wahrlich majestätisch in seinem
ganzen Erscheinungsbild. Vom grazilen Stiel bis zum dunkelbraun glänzenden Hut,
war er einfach makellos. Obwohl er so verführerisch strahlte, war er doch
völlig unangetastet. Keine Maus hatte es gewagt ihn anzunagen und auch die
Schnecken machten einen großen Bogen um ihn. Dieses Wunder der Natur war
eigentlich fast zu schade, um es ihr einfach so zu entreißen. Aber nur fast…
Ich ging in die Hocke, streckte die Hand aus und wollte ihn gerade am Stiel
herausdrehen, als ich einen angenehm süßlichen Geruch wahrnahm. Ein flüchtiger Hauch
Vanille zog zart an meiner Nase vorbei. Ein wohliges Gefühl überfiel mich. Doch
dann fuhr ich plötzlich ängstlich zusammen. Vor Schreck ließ ich einen kurzen
Schrei los. Mein Herz galoppierte. Ich spürte, wie sich das Adrenalin rasend
schnell seinen Weg durch meine Adern bahnte. Von der gebückten Haltung plumpste
ich auf mein Hinterteil und war nicht mehr in der Lage, selbstständig wieder aufzustehen.
Mein Herz drohte aus meiner Brust zu springen, als ich starr vor Angst neben
mir eine Person wahrnahm. Es konnte nur ein krankes Hirn sein, das hier auf
mich lauerte, da gab es keinen Zweifel. Wer sonst schlich schon
mutterseelenallein hier im Wald herum? Abgesehen von mir natürlich…
„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken“, sagte eine beruhigende,
sanfte, männliche Stimme. Hektisch blickte ich nach oben. Seine klaren Augen
leuchteten in einem hellen Türkis und versprühten die pure Lebensfreude. Ich
musste mich regelrecht zwingen meinen Blick von ihm zu lösen, so sehr zogen sie
mich in ihren Bann.
Er beugte sich etwas zu mir hinunter und streckte mir die Hand entgegen.
Okay, doch kein krankes Hirn, revidierte ich meine Meinung. Laut sagen
konnte ich allerdings nichts, zu hoch war noch die Konzentration des Adrenalins
in meinem Blut. Gebannt starrte ich auf sein ebenmäßig, mattes Gesicht, das mir
wie gemalt erschien. Neben ihm, mit seiner gerade gewachsenen Nase, den
formschönen Ohren und einer Haut, die so rein war wie Porzellan, kam ich mir
mehr denn je wie ein hässliches Entlein vor.
Wie kann man nur so makellos schön sein, dass müsste doch verboten werden ,
dachte ich.
Sein leicht zerzauste, mittelbraune James Dean Frisur verlieh ihm eine gewisse
Lässigkeit, was mir sofort an ihm gefiel. Aber auch sein markantes Kinn mit dem
kleinen angedeuteten Grübchen und den ausgeprägten Wangenknochen faszinierten
mich. Unentwegt starrte ich ihn an.
Er war nicht älter als Zwanzig und von schlanker Statur, mindestens zwei Köpfe
größer als ich und kräftig. Aufgrund dessen ich auch nicht rechtzeitig stoppen
konnte und mit meiner Nase direkt an seinem Oberkörper landete. Er lehnte den
Kopf ein wenig schief, legte seine Hände vorsichtig um meine Hüften und suchte
mit prüfendem Blick mein Gesicht. Zu meiner Verwunderung lächelte er, als er
mich ansah. Er verstellte sich nicht, war nicht überrascht und schon gar nicht
enttäuscht. Dabei hatte ich mit all
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