Ein Hauch Vanille (German Edition)
ausgebreiteten
Flügeln vor sich her trieb. „Lauf!“ schrie ich ihm durch die geschlossene
Scheibe entgegen.
„Mama, Mama!“ schrie er voller Angst mit weit aufgerissenen Augen. Er versuchte
den Kopf zu drehen, seine blonden Locken wehten im Wind. Er wollte sehen, wie
dicht ihm der Puter auf den Fersen war. Selbst sein Ur-Schrei konnte das Tier
nicht aufhalten. Er griff nach der Gartentür, die sich zum Glück nach außen
öffnen ließ, sonst hätte er es nicht mehr rechtzeitig geschafft. Im Schlafanzug
spurtete ich nach unten, wo Anne Michi in Empfang nahm. Er zitterte am ganzen
Körper und weinte. Durch den Lärm war auch Michael herbeigeeilt.
„Das Vieh kommt weg, es traut sich ja niemand mehr in den Garten“, schrie Anne
ihn böse an. Michi lag schluchzend in ihren Armen, doch als er mich kommen sah,
drückte er sich von ihr weg und wollte zu mir laufen. Noch konnte mich außer
ihm niemand sehen, deshalb machte ich schnell wieder kehrt. Denn er sollte bei
ihr sein, schließlich war sie die Mutter. Außerdem war ich auch froh, wenn ich
mich mal nicht um den kleinen Schisser kümmern musste. Wenn er auch noch so süß
war, konnte er auf Dauer doch auch sehr nervig sein.
Ich hatte noch viel zu erledigen und wollte Michael keine Möglichkeiten für
spätere Schikanen geben. Wenn meine Arbeit nicht erledigt wäre, würde er mich
sicher nicht gehen lassen. Also machte ich mir eine Liste und strich eine
Position nach der anderen ab. Erst fegen, dann wischen, Toilette und
Waschbecken schrubben, mit trockenem Tuch nachpolieren, bis alles glänzt und
natürlich der Spiegel im Bad mit den Zahnpasta Spritzern. Spülmaschine
ausräumen und noch einen Kuchen backen.
Ich
nahm den Quirl zur Hand und musste unwillkürlich wieder daran denken, wie es
dazu gekommen war, dass ich zu Hause für das Backen zuständig war. Damals war
ich zwölf Jahre alt, als meine Mutter etwas zu besorgen hatte und ich zu Hause
blieb. Als mich plötzlich das unbändige Verlangen trieb, ihr etwas Gutes zu
tun. Ich wollte sie mit einem Kuchen überraschen, obwohl ich noch nie zuvor
alleine etwas gebacken hatte. Aber so schwer konnte das ja nicht sein. Ich
hatte ja schon oft genug zugesehen und den Quirl gehalten. Zehn Eier für eine
Kasten- und eine Kranzform, da war ja nichts dabei. Ruck Zuck war der Teig
zusammengerührt und die zwei Kuchen im Ofen.
Es duftete herrlich nach Kaffee, als sie in die Küche trat. Die Freude in ihren
Augen zu sehen, machte mich überglücklich. Doch nur kurz, denn ihr Kommentar
ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Eigentlich war es mehr ein Tritt in
den Allerwertesten. Sie schnitt ein Stück vom Kuchen ab, nahm einen Bissen und
nickte zustimmend.
„Weißt du was, das kannst du ab jetzt immer machen!“ sagte sie mit noch vollem
Mund und todernster Stimme. Und so meinte sie es auch.
Das passiert dir nur einmal , schwor ich mir damals, weil ich seither
tatsächlich für das Kuchenbacken zuständig war.
Ich
musste mich kurz sammeln, weil ich mich noch immer über mich selbst ärgerte und
mich ausgenutzt fühlte.
„Guck mal wie selbständig du geworden bist und wie unselbständig andere in
deinem Alter sind“, sagte Anne immer zu ihrer Verteidigung, was mir aber nicht
wirklich ein Trost war.
Zum
Glück war sie heute für das Essen zuständig, so konnte ich noch in Ruhe duschen
gehen. Während ich mir meine Anziehsachen aus dem Schrank heraussuchte, warf
ich einen Blick aus dem Fenster. Michael stand mit einem Beil in der Hand im
Garten und übergab es Robert, der genau neben ihm stand. Blitzschnell packte
Michael den Puter von hinten und presste mit seinen Händen dessen Flügel
zusammen, so dass er mit ihnen nicht mehr um sich schlagen konnte. Doch in
seiner Angst um sein Leben entwickelte das Ungetüm Bärenkräfte. Er wehrte sich
und versuchte sich zu befreien, pickte nach allen Seiten, strampelte mit aller
Kraft, sodass Michael echte Probleme hatte ihn weiter festzuhalten. Ständig
musste er seinen Griff korrigieren und noch fester zugreifen. Den langen Hals
des Tieres drückte er erbarmungslos auf den Holzklotz. Der Puter wusste was ihm
blühte, er riss die Augen weit auf und schnaubte aus den kleinen Nasenlöchern,
sodass ich seine Angst regelrecht fühlen konnte.
„Na los Dicker, schlag zu!“ schrie Michael Robert zornig an. Der zögerte nur
kurz, denn ihm war klar was ihm blühte, wenn er
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