Ein Hauch Vanille (German Edition)
was ihr geholfen hatte. Doch nun wollte einfach
nichts mehr anschlagen. Die Chemotherapie nicht und die Lösung im Reagenzglas
brachte auch nicht die erhoffte Besserung. Shane setzte sich selbst so dermaßen
unter Druck, dass er noch mehr Zeit im Labor verbrachte. Sogar nachts schlief
er dort. Er forschte verbissen nach einem Inhaltsstoff, den er vielleicht
übersehen haben könnte und konnte sich einfach nicht damit abfinden, nicht
helfen zu können.
Es waren unsere letzten gemeinsamen Tage, die wir natürlich nicht wirklich
genießen konnten. Doch das war nun absolut nebensächlich. Hier ging es
schließlich um Leben und Tod. Jeden Tag erzählte ich zu Hause, ich müsse mit
Tina für die Schule lernen, dabei war mir die Schule im Moment total egal. Oft
schwänzte ich sogar den Unterricht, weil die Suche nach einem Portal, trotz
Geruchsdetektor, mittlerweile viel zu viel Zeit in Anspruch nahm. Oft musste
ich kilometerweit laufen, um einen Portalpilz zu finden. Ich schaute Shane im
Labor nur über die Schulter, denn ihm wirklich bei seiner Suche behilflich sein,
konnte ich nicht. Letztendlich entpuppte es sich jetzt als ein Segen, dass ich
meine Entschuldigungen selbst schreiben durfte.
„Töröööööööö!“
schallte es in voller Lautstärke aus den Lautsprechern des Kassettenrekorders und
riss mich blindlings aus meinem Traum, in dem ich eben noch selig in Shanes
Armen lag. Ich
schreckte hoch, durch den plötzlichen Adrenalin Schub war ich sofort hellwach
und startklar. In Sekundenschnelle warf ich die Bettdecke beiseite, sprang beherzt
aus dem Bett und spurtete in das benachbarte Zimmer. Es war nicht allzu
finster, denn der Mond warf sein helles Licht direkt durch Michis Fenster. Der
nun schon wieder tief und fest schlief, obwohl im Hintergrund Benjamin Blümchen
erneut laut los trötete. „Törööööö! Wir sind deine Freunde, wir lieben dich,
Benjamin Blüüümchen …“, sang eine liebliche Frauenstimme. Von wegen wir
lieben dich…, dachte ich verärgert. Wenn dieser dicke Elefant jetzt vor mir
stünde, hätte ich ihm erst einmal eine geknockt. Die Stimme, die diesen Koloss verkörperte,
klang in meinen Ohren absolut dümmlich. Jeder der über fünf Jahre alt war,
musste ihn einfach hassen und ich ganz besonders. Michi hingegen liebte ihn
abgöttisch, wie alle Kinder in seinem Alter.
Vor
einer Minute erst hatte er den Kassettenrekorder selbst eingeschaltet und lag
nun bereits wieder im Tiefschlaf. Wie ging das? Wie konnte er nur bei diesem
Lärm schlafen? fragte ich mich. Kopfschüttelnd schaltete ich den Rekorder aus und
zog sicherheitshalber auch noch den Stecker aus der Steckdose.
Mit dem Rücken zu ihm schlich ich mich auf Zehenspitzen langsam aus seinem
Zimmer.
„Mama?“ ertönte es fragend hinter mir. Ich fuhr zusammen, hob die Achseln zum
Kopf und schloss kurz die Augen, als würde er mich dann nicht mehr sehen
können. Doch natürlich konnte er das.
„Schlaf Süßer, es ist noch ganz dunkel“, flüsterte ich ihm zu und entschwand
schnell aus seinem Blickfeld in mein Zimmer. Als ich wieder in meinem Bett lag,
starrte ich die Lehmdecke über mir an und konnte nicht wieder einschlafen.
Tapp, Tapp, Tapp…, hörte ich die kleinen, schnellen Schritte vor meiner Tür.
Die Türklinke senkte sich ganz langsam, im Zeitlupentempo öffnete sich die Tür.
Wie immer, mit Kissen und Nuckel ausgestattet, stand er auf der obersten der
drei Treppenstufen zu meinem Zimmer und stierte mich mit seinem Hundeblick an.
Die Hände in sein Kissen gekrallt, stand er dort oben, wie auf einer Bühne.
„Heia machen?“ fragte er und wartete auf das Urteil der Jury. Sogar ein Dieter
Bohlen hätte jetzt sicher Mitleid mit ihm gehabt. Also winkte ich ihn hinunter.
„Na komm, Süßer!“ Ein Lächeln überstrahlte sofort sein Gesicht. Beherzt sprang
er mit beiden Beinen gleichzeitig immer eine Treppenstufe tiefer, um dann mit
einem großen Satz in mein Bett zu hopsen. Sein kleiner Körper schmiegte sich an
mich und er schlief sofort wieder ein.
Wie schnell er abschalten und schlafen konnte, wunderte ich mich. Als ich die
Decke ein Stück nach oben zog, waberte ein unangenehmer Geruch empor.
„Du hast eindeutig ein
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