Ein Hauch von Moder
mir aufgefallen. Ich hatte das Gefühl, als würde ein unsichtbarer Zombie neben mir stehen, begreifst du das?«
»Ja, das begreife ich.«
»Und dann am Tisch, als ich Wein trank. Plötzlich glaubte ich, daß aus dem Glas etwas hochströmen würde. Eine Wolke, ein widerlicher Gestank, ein Hauch von Moder und Verwesung.«
»Da hast du noch mit ihm zusammen gesessen.«
»Sicher.«
Ich runzelte die Stirn. »Möglicherweise liegt es an ihm. Oder meinst du nicht?«
»Du hast Basil Hartford in Verdacht?«
»Ja, die Fakten liegen nun mal so. Ich habe Basil Hartford in Verdacht, daß mit ihm etwas nicht stimmt. Du hast mit ihm zusammengesessen. Sir James war bei ihm.«
»Aber du doch auch, John. Und Suko ebenfalls«, schrie sie, hob die Arme und ließ sie wieder fallen.
»Das stimmt alles, Glenda. Uns hat es nicht erwischt, verstehst du? Wir haben möglicherweise einen gewissen Schutz. Ich kann mir vorstellen, daß mein Kreuz…«
»Ja, das kann sein.« Glenda änderte das Thema. »Aber wer ist dieser geheimnisvolle Mann? Wer — John? Tatsächlich Hartford?«
»Ich kann mir keine andere Alternative denken.«
Sie schüttelte den Kopf und hämmerte mit den Fäusten auf die Schreibtischplatte. »Das ist alles so verrückt. Das ist der reinste Wahnsinn, begreifst du das?«
»Kaum, Glenda.«
»Ich bin mit ihm gegangen«, sagte sie stockend. »Er… er hat mir auch nichts getan, weißt du?«
»Wollte er dich nur zum Essen einladen?«
»Ja.«
»Hat er sich nach mir erkundigt?« Glenda nickte mir zu. »Auch. Er fragte nach dir. Nach deinem Job und so.«
»Was hast du ihm gesagt?«
»Konnte ich ihm etwas sagen? Traust du mir das zu?«
»Nein.«
»So ist es auch gewesen, John. Ich habe ihm keinerlei Auskünfte gegeben. Es blieb alles sehr sachlich. Ich habe ihm erklärt, daß er sich an dich wenden sollte, falls er etwas wissen will. Ich jedenfalls fühlte mich nicht zuständig.«
»Das war gut so.«
Glenda legte den Kopf zurück. Sie fuhr dabei mit beiden Händen durch ihr Haar. »Ich komme einfach nicht mehr klar, John. Ich weiß nicht, was sich da zusammenbraut. Ich rieche nach Moder wie eine alte Leiche. Das will mir nicht in den Sinn. Es ist einfach verrückt.« Sie starrte mich an. Ihr Gesicht hatte sich verändert. Es war rot geworden und zeigte gleichzeitig blasse Flecken, die vom Weinen zurückgeblieben waren.
»John, wie kann ich plötzlich nach Moder riechen?«
»Das weiß ich auch nicht genau. Aber hast du ihn möglicherweise angefaßt?«
»Ja, wir gaben uns die Hand.«
»Das kann es gewesen sein.«
»Dir hat er ebenfalls die Hand gegeben, oder nicht?«
»Doch, aber wie gesagt, ich habe den Schutz des Kreuzes.«
»Und Suko?«
Ich hob die Schultern. »Wir müssen damit rechnen, daß auch ihn diese Pest erwischt hat. Möglicherweise kommt sie bei ihm erst später zum Ausbruch. Der eine reagiert so, der andere besitzt mehr Widerstandskraft. Das kann es bei Suko sein. Was auch zutreffen mag, Glenda, du jedenfalls solltest nicht länger hier im Büro bleiben. Auch Sir James hat die Konsequenzen gezogen und ist nach Hause gegangen.«
»Was macht er dort?«
»Er wird abwarten müssen, bis etwas geschieht oder wir Licht in das Dunkel gebracht haben.«
»Das kann dauern.«
»Natürlich. Du bist zu Hause am besten aufgehoben.«
»Bei dem Gestank sicherlich. Ich ekle mich selbst davor, John. Es ist einfach furchtbar, nicht zu beschreiben. Ich komme mir vor wie ein weiblicher Ghoul oder ein Zombie. Was kann ich noch tun?«
»Deine Sachen packen.«
»Bringst du mich nach Hause?«
»Selbstverständlich.«
»Dann wird es in deinem Wagen riechen wie in einem alten Grab, John.«
»Das ist mir egal. Ich will dich hier heraus haben. Außerdem muß ich mich noch um Hartford kümmern. Du weißt nicht zufällig, wohin er gegangen ist?«
»Nein, das hat er nicht gesagt.«
»Und der Begriff die Verfluchten oder Verdammten der Totengruft sagt dir auch nichts?«
»Nie gehört.«
»Dann komm.«
Suko saß noch immer im Vorzimmer. Er sah uns an, was wir vorhatten.
»Ihr wollt weg?« fragte er.
»Ja, leider. Oder Gott sei Dank! Ich bringe Glenda nach Hause. Sie ist dort besser aufgehoben.«
»Finde ich auch. Viel Glück.«
»Danke, Suko.«
Glenda nahm noch ihre Tasche. Einen beinahe abschiednehmenden Blick warf sie auf ihren Schreibtisch und die Schreibmaschine. »Es ist ja nicht für immer«, tröstete ich sie, weil ich ihre Gedanken erriet.
»Das hoffe ich auch…«
Der Fahrer des Superintendenten
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