Ein Hauch von Schnee und Asche
Tochter Malva, um die Salbe zu holen. Sie war ein dunkelhaariges, schlankes, stilles Mädchen, machte aber einen intelligenten Eindruck. Sie hörte genau zu, als ich sie nach dem Aussehen der Wunde fragte – so weit, so gut, leichte Rötung, aber kein Eiter, keine roten Streifen, die den Arm entlangliefen -, und ihr Anweisungen gab, wie sie die Salbe auftragen und den Verband wechseln sollte.
»Nun gut«, sagte ich und gab ihr den Salbentopf. »Sollte er Fieber bekommen, holt mich. Sonst sorgt dafür, dass er in einer Woche zu mir kommt, damit ich die Fäden ziehen kann.«
»Ja, Ma’am, das mache ich.« Doch sie wandte sich nicht zum Gehen, sondern blieb noch und ließ den Blick über die Häufchen trocknender Kräuter auf den Gazerahmen und meine Ausrüstung schweifen.
»Braucht Ihr sonst noch etwas? Oder habt Ihr noch eine Frage?« Sie schien meine Anweisungen wunderbar verstanden zu haben – doch vielleicht wollte sie mich ja noch etwas Persönlicheres fragen. Sie hatte ja schließlich keine Mutter…
»Nun, aye«, sagte sie und wies kopfnickend auf den Tisch. »Ich habe mich nur gefragt – was ist es, das Ihr in Euer schwarzes Buch da schreibt, Ma’am?«
»Das? Oh. Es sind meine medizinischen Notizen und Rezepte für Heilmittel. Seht Ihr?« Ich drehte das Buch auf den Kopf und schlug es so auf, dass sie die Seite sehen konnte, auf der ich eine Skizze von Miss Mousies beschädigten Zähnen angefertigt hatte.
Malvas graue Augen leuchteten vor Neugier, und sie beugte sich vor, um den Eintrag zu lesen, die Hände vorsichtig in ihrem Rücken verschränkt, als fürchtete sie, das Buch aus Versehen zu berühren.
»Keine Sorge«, sagte ich, ein wenig amüsiert über ihre Vorsicht. »Ihr könnt es durchblättern, wenn Ihr möchtet.« Ich schob das Buch in ihre Richtung, und sie trat erschrocken einen Schritt zurück. Sie blickte zu mir auf und runzelte zweifelnd die Stirn, doch als ich ihr zulächelte, holte sie kurz und aufgeregt Luft und streckte die Hand aus, um die Seite zu wenden.
»Oh, seht nur!« Die Seite, zu der sie umgeblättert hatte, war keine von meinen, sondern einer von Daniel Rawlings’ Einträgen – er zeigte die Entfernung eines toten Kindes aus dem Uterus mit Hilfe der diversen Instrumente zur Ausschabung. Ich warf einen Blick auf die Seite und wandte
ihn hastig wieder ab. Rawlings war kein Künstler gewesen, aber er hatte ein brutales Talent besessen, die Wirklichkeit einer Situation zu erfassen.
Malva schienen die Zeichnungen jedoch nicht zu verstören; ihre Augen waren groß und voller Interesse.
Das weckte auch mein Interesse, und ich beobachtete sie unauffällig, während sie wahllos in dem Buch blätterte. Natürlich schenkte sie den Zeichnungen die meiste Beachtung – doch sie nahm sich ebenso die Zeit, die Beschreibungen und Rezepte zu lesen.
»Warum schreibt Ihr die Dinge auf, die Ihr getan habt?«, fragte sie und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen auf. »Die Rezepte, aye, ich kann mir vorstellen, dass man sie sonst vielleicht vergisst – aber warum macht Ihr diese Zeichnungen und schreibt Euch auf, wie Ihr einen Zeh mit Frostbeulen abgenommen habt? Würdet Ihr es vielleicht ein andermal anders machen?«
»Nun ja, manchmal schon«, sagte ich und legte den getrockneten Rosmarinzweig beiseite, dessen Nadeln ich abgelöst hatte. »Keine Operation gleicht der anderen. Jeder Körper ist ein wenig anders als der andere, und auch wenn man dieselbe grundlegende Prozedur ein Dutzend Mal durchführt, gibt es regelmäßig ein Dutzend Dinge, die sich anders ergeben – manchmal nur Kleinigkeiten, manchmal jedoch weitaus mehr. Aber ich führe aus mehreren Gründen Buch über das, was ich tue«, fügte ich hinzu, während ich meinen Hocker zurückschob und den Tisch umrundete, um mich neben sie zu stellen. Ich blätterte ein paar Seiten weiter und schlug meine Liste mit den Beschwerden der alten Mrs. MacBeth auf – eine Liste, die so umfangreich war, dass ich sie in meinem eigenen Interesse alphabetisiert hatte, und die mit Arthritis aller Gelenke begann, sich zwei Seiten lang von Dyspepsie bis hin zu Ohnmacht und Ohrenschmerzen hinzog und schließlich mit Vorfall der Gebärmutter endete. Ich unterdrückte einen leisen Schauer.
»Zum Teil dient es dazu, dass ich weiß, was ich für eine bestimmte Person getan habe und was passiert ist – wenn sie dann später wieder behandelt werden muss, kann ich zurückblicken und finde eine genaue Beschreibung ihres ursprünglichen Zustandes.
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