Ein Hauch von Schnee und Asche
Marsali blickte erschrocken auf, als meine Gestalt den Lichteinfall in der Tür blockierte.
»Mutter Claire!«
»Hallo«, sagte ich fröhlich. »Germain hat gesagt, du wärst hier. Da habe ich mir einfach gedacht, ich -«
»Maman! Sieh mal, sieh nur, schau, was ich habe!« Germain schob sich zielstrebig an mir vorbei und hielt seine Beute vor sich hin. Marsali lächelte ihn an und strich sich eine feuchte Haarsträhne hinter das Ohr.
»Oh, aye? Na, das ist ja großartig. Wir wollen es nach draußen bringen, damit ich es mir richtig ansehen kann.«
Sie trat aus dem Schuppen und seufzte vor Vergnügen über die Berührung der kühlen Luft. Sie war ausgezogen bis auf ihr Hemd, dessen Musselinstoff so schweißnass war, dass ich nicht nur die dunklen Kreise ihrer Areolen sehen konnte, sondern sogar ihren vorgewölbten Nabel, über dem der Stoff an der massigen Rundung ihres Bauches klebte.
Mit einem weiteren, ausgiebigen Seufzer der Erleichterung setzte sich Marsali hin, streckte die Beine aus und reckte die nackten Zehen in die Luft. Ihre Füße waren etwas geschwollen, und blaue Adern zeichneten sich unter der durchsichtigen Haut ihrer Beine ab.
»Ah, tut das gut zu sitzen! Also dann, a chuisle , zeig mal, was du da hast.«
Ich nutzte die Gelegenheit, hinter ihrem Rücken entlangzugehen, während Germain ihr seine Beute präsentierte, und unauffällig nach blauen Flecken und anderen verdächtigen Anzeichen zu suchen.
Sie war dünn – aber Marsali war nun einmal dünn, abgesehen von der Rundung ihrer Schwangerschaft, und sie war es immer gewesen. Ihre Arme waren schlank, aber gut bemuskelt, genau wie ihre Beine. Die Müdigkeit hatte Ränder unter ihren Augen hinterlassen – aber sie hatte schließlich drei kleine Kinder, die sie wach hielten, abgesehen von den Unannehmlichkeiten der Schwangerschaft. Ihr Gesicht war rosig und feucht und sah durch und durch gesund aus.
Sie hatte ein paar blaue Flecken an den Unterschenkeln, doch ich tat sie als unwichtig ab; Schwangere bekamen leicht blaue Flecken, und angesichts der zahlreichen Hindernisse, die das Leben in einer Blockhütte und in der Bergwildnis mit sich brachte, gab es kaum jemanden in Fraser’s Ridge – männlichen oder weiblichen Geschlechts -, der nicht hier und dort eine Prellung hatte.
Oder suchte ich nur nach Ausreden, weil ich mir die Möglichkeit dessen, was Brianna geargwöhnt hatte, nicht eingestehen wollte?
»Eins für mich«, erklärte Germain und legte den Finger auf die Eier, »und eins für Joan und eins für Felicité und eins für Monsieur l’Œuf.« Er zeigte auf ihren wie eine Melone geschwollenen Bauch.
»Ach, was für ein lieber Junge«, sagte Marsali, zog ihn an sich und küsste seine fleckige Stirn. »Du bist wirklich mein kleines Küken.«
Germains Strahlen verwandelte sich in eine spekulierende Miene, als er mit dem vorgewölbten Bauch seiner Mutter in Berührung kam. Er tätschelte ihn vorsichtig.
»Wenn das Ei da drinnen ausschlüpft, was machst du mit der Schale?«, erkundigte er sich. »Kann ich sie haben?«
Marsali verkniff sich so mühsam das Lachen, dass sie rot wurde.
»Menschen kommen nicht mit Schale«, erklärte sie. »Gott sei Dank.«
»Bist du sicher, Maman?« Er warf einen argwöhnischen Blick auf ihren Bauch, dann stupste er ihn sanft mit dem Finger an. »Es fühlt sich aber wie ein Ei an.«
»Nun, das stimmt, aber es ist keins. Papa und ich nennen die Kleinen nur so, bevor sie geboren werden. Du warst auch einmal Monsieur l’Œuf, aye?«
»Wirklich?« Bei dieser Enthüllung zog Germain ein Gesicht wie vom Donner gerührt.
»O ja. Deine Schwestern auch.«
Germain runzelte die Stirn, bis der fransige Pony fast seine Nase berührte.
»Nein, das stimmt nicht. Sie sind Mesdemoiselles les Œufs.«
»Oui, certainement« , sagte Marsali und lachte ihn an. »Dieses hier vielleicht auch – aber es ist leichter, Monsieur zu sagen. Hier, sieh mal.« Sie lehnte sich ein wenig zurück und drückte ihre Hand fest in die Seite ihres Kugelbauches.
Dann nahm sie Germains Hand und legte sie auf die Stelle. Sogar ich konnte sehen, wie sich ihre Haut ausbeulte, als das Baby als Reaktion auf den Druck heftig trat.
Germain riss erschrocken die Hand fort, dann legte er sie mit faszinierter Miene wieder auf die Stelle und drückte zu.
»Hallo?«, sagte er laut und hielt sein Gesicht dicht an den Bauch seiner Mutter. » Comment ça va da drinnen, Monsieur l’Œuf?«
»Es geht ihm gut«, versicherte ihm seine Mutter.
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