Ein Hauch von Schnee und Asche
befragt hattest. Und ich musste pausenlos weiter darüber nachdenken … und, nun ja, es kam mir einfach nicht richtig vor, es zu wissen und nichts zu tun. Also dachte ich, ich sage es dir besser.«
»Aye, ich verstehe«, sagte er ein wenig trostlos.
Ihm war schon öfter aufgefallen, dass Menschen mit einem empfindsamen Gewissen dazu neigten, ihr eigenes Unbehagen zu mindern, indem sie die Notwendigkeit zu handeln auf jemand anderen übertrugen, verzichtete aber darauf, es zu erwähnen. Sie konnte es Bird schließlich kaum selbst sagen.
Als wäre das, was im Zusammenhang mit den Cherokee auf ihn zukam, nicht schon kompliziert genug, dachte er ironisch – jetzt musste er sich zusätzlich damit befassen, künftige Generationen unbekannter Wilder zu retten? Die Nachtigall surrte alarmierend dicht an seinem Kopf vorbei und gackerte dabei ausgerechnet wie ein Huhn.
Das war so unpassend, dass er lachte. Und dann begriff er, dass er gar nichts anderes tun konnte. Nicht im Moment.
Brianna warf ihm einen merkwürdigen Blick zu.
»Was hast du jetzt vor?«
Er reckte sich langsam und ausgiebig und spürte, wie seine Rückenmuskeln an seinen Knochen zogen, jeder einzelne lebendig und real. Die Sonne senkte sich am Himmel, allmählich würde das Abendessen gekocht werden, und für für diese eine, letzte Nacht brauchte er nichts zu tun. Noch nicht.
»Ich gehe angeln«, sagte er und lächelte seine wunderbare, unwahrscheinliche, problembeladene Tochter an. »Hol den Kleinen, aye? Ich hole die Angeln.«
Von James Fraser, Esq., aus Fraser’s Ridge
An Mylord John Grey, Mount Josiah Plantage, am 2. April 1774
Mylord,
morgen werde ich aufbrechen, um die Cherokee zu besuchen, und lasse diesen Brief daher bei meiner Frau zurück, damit sie ihn Mr. Higgins
anvertraut, wenn er das nächste Mal kommt, und ihn dieser mitsamt dem dazugehörigen Paket in deine Hände übergibt.
Ich baue auf deine Güte und deine Sorge um meine Familie, wenn ich dich um den Gefallen bitte, den Gegenstand, den ich dir anvertraue, zu verkaufen. Ich vermute, dass deine Verbindungen es dir ermöglichen, einen besseren Preis zu erzielen, als ich es könnte – und dabei diskret vorzugehen.
Ich hoffe, dass ich dir nach meiner Rückkehr die Gründe für meine Handlungsweise anvertrauen kann, gemeinsam mit gewissen philosophischen Überlegungen, die dich wahrscheinlich sehr interessieren werden. In der Zwischenzeit bleibe ich stets
dein dir zugeneigter Freund und ergebener Diener, J. Fraser
42
Generalprobe
Bobby Higgins sah mich über sein Bier hinweg beklommen an.
»Bitte um Verzeihung, Ma’am«, sagte er. »Aber Ihr denkt nicht zufällig gerade darüber nach, was für eine Medizin Ihr mir noch verabreichen könntet, oder? Die Würmer sind fort, da bin ich mir sicher. Und das – das andere -«, er errötete schwach und wand sich auf der Bank, »- das ist auch ganz geheilt. Ich habe so viele Bohnen gegessen, ich furze regelmäßig, und es tut überhaupt nicht weh!«
Jamie hatte sich schon oft über die Transparenz meiner Gesichtszüge ausgelassen, aber dies war überraschend scharfsichtig von Bobby.
»Es freut mich, das zu hören«, sagte ich und wich seiner Frage fürs Erste aus. »Ihr seht auch aus wie das blühende Leben, Bobby.«
Das stimmte; er hatte sein krankes, ausgezehrtes Aussehen gänzlich verloren, seine Haut war fest und gesund, und seine Augen glänzten. Das blinde Auge war nicht milchig geworden und wanderte auch nicht merklich; ihm musste ein Rest einer schemenhaften Sehfähigkeit geblieben sein, was für meine Diagnose einer teilweisen Hornhautablösung sprach.
Er nickte argwöhnisch und trank einen Schluck Bier, ohne den Blick von mir abzuwenden.
»Es geht mir auch sehr gut, Ma’am«, bestätigte er.
»Wunderbar. Ihr wisst nicht zufällig, wie viel Ihr wiegt, oder, Bobby?«
Der Ausdruck des Argwohns verschwand und wich bescheidenem Stolz.
»Zufällig doch, Ma’am. Letzten Monat habe ich für Seine Lordschaft ein paar Vliese nach Riverport gebracht, und dort gab es einen Händler, der eine Waage hatte – für Tabak, Reis, Indigoblöcke und so. Ein paar von uns haben zum Spaß gewettet, was dies oder das wohl wiegen könnte, und… nun ja, es sind fünfundsechzig Kilo, Ma’am.«
»Sehr schön«, lobte ich beifällig. »Lord Johns Koch muss Euch gut ernähren.« Ich glaubte nicht, dass er mehr als fünfzig Kilo gewogen hatte, als ich ihm das erste Mal begegnete; fünfundsechzig war zwar nach wie vor
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