Ein Hauch von Schnee und Asche
die Kunden und die H-, die Mädchen.«
»Kannst du etwa nicht ›Hure‹ sagen?«, fragte er belustigt. Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, und war froh, dass es dunkel war; er zog sie nur noch mehr auf, wenn sie rot wurde.
»Ich kann doch nichts dafür, dass ich eine katholische Schule besucht habe«, verteidigte sie sich. »Frühe Konditionierung.« Er hatte Recht; sie konnte bestimmte Wörter einfach nicht sagen, es sei denn, Wut hatte sie gepackt oder sie hatte sich gedanklich darauf vorbereitet. »Aber warum kannst du es überhaupt? Man sollte doch glauben, dass ein Pastorjunge dasselbe Problem hat.«
Er lachte ein bisschen ironisch.
»Nicht ganz dasselbe Problem. Bei mir war es eher so, dass ich mich gezwungen gefühlt habe, vor meinen Freunden zu fluchen und mich danebenzubenehmen, um zu beweisen, dass ich es konnte.«
»Danebenbenehmen?«, fragte sie, weil sie eine Geschichte witterte. Er sprach nicht oft über seine Kindheit, die er als Adoptivsohn seines Onkels, eines Presbyterianerpastors, in Inverness verbracht hatte, doch sie liebte es, sich die Bröckchen anzuhören, die er manchmal fallen ließ.
»Och. Rauchen, Bier trinken, schmutzige Wörter an die Wände der Jungentoilette schmieren«, sagte er, und das Lächeln in seiner Stimme war deutlich zu hören. »Mülleimer umstoßen. Die Luft aus Autoreifen lassen. Bei der Post Süßigkeiten klauen. Eine Zeit lang war ich ein richtiger kleiner Krimineller.«
»Der Schrecken von Inverness, wie? Hattet ihr eine Gang?«, zog sie ihn auf.
»O ja«, sagte er und lachte. »Gerry MacMillan, Bobby Cawdor und Dougie Buchanan. Ich war der Außenseiter, nicht nur, weil ich der Pastorjunge war, sondern auch, weil ich einen englischen Vater und einen englischen Namen hatte. Also war ich dauernd darauf aus, ihnen zu zeigen, dass ich ein harter Kerl war. Was bedeutete, dass ich meistens derjenige war, der in den größten Schwierigkeiten steckte.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass du einmal ein jugendlicher Delinquent warst«, sagte sie ganz verzaubert von dieser Vorstellung.
»Na ja, es hat auch nicht lange gedauert«, versicherte er ihr trocken. »In dem Sommer, als ich fünfzehn wurde, hat mich der Reverend auf einem Boot angeheuert und mich mit den Heringsfischern zur See geschickt. Ich weiß nicht, ob er es getan hat, um meinen Charakter zu verbessern, damit ich nicht im Gefängnis landete oder weil er mich einfach nicht länger in seinem Haus ertragen konnte. Aber es hat funktioniert. Wenn du einmal harte Kerle kennen lernen willst, fahr mit einem Haufen gälischer Fischer zur See.«
»Ich werde es mir merken«, sagte sie. Sie versuchte nicht zu kichern und stieß stattdessen eine Reihe leiser, feuchter Prustgeräusche aus. »Und sind deine Freunde im Gefängnis gelandet oder sind sie aufrechte Bürger geworden, als du nicht mehr da warst, um sie auf Abwege zu führen?«
»Dougie ist zur Armee gegangen«, sagte er mit einem Hauch von Wehmut in der Stimme. »Gerry hat den Laden seines Vaters übernommen – sein Vater war Tabakhändler. Bobby … aye. Na ja, Bobby ist tot. Ist noch im selben Sommer ertrunken, vor Oban beim Hummerfischen mit seinem Vetter.«
Sie lehnte sich dichter zu ihm hinüber, drückte seine Hand und strich ihm mitfühlend über die Schulter.
»Tut mir Leid«, sagte sie, dann hielt sie inne. »Obwohl… er ist gar nicht tot, nicht wahr? Noch nicht. Nicht in dieser Zeit.«
Roger schüttelte den Kopf und stieß einen schwachen Laut aus, in dem sich Humor und Bestürzung mischten.
»Ist das ein Trost?«, fragte sie. »Oder ist es eine schreckliche Vorstellung?«
Sie wollte, dass er weitersprach; so viel hatte er nicht mehr an einem Stück geredet, seit man ihn gehängt und ihm seine Singstimme geraubt hatte. Es machte ihn befangen, in der Öffentlichkeit zu sprechen, und schnürte ihm die Kehle zu. Seine Stimme war auch jetzt noch rau, doch so entspannt, wie er jetzt war, würgte und hustete er zumindest nicht.
»Beides«, sagte er und stieß den gleichen Laut noch einmal aus. »Ich werde ihn so oder so nie wiedersehen.« Er zuckte sacht mit den Achseln, wie um den Gedanken zu verdrängen. »Denkst du oft an deine alten Freunde?«
»Nein, nicht oft«, sagte sie leise. Der Pfad wurde hier schmaler, und sie hakte sich bei ihm ein und ging dicht neben ihm, während sie sich der letzten
Wegbiegung näherten, die sie in Sichtweite der McGillivrays bringen würde. »Ich habe hier genug, was mich beschäftigt.« Sie
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