Ein Hauch von Schnee und Asche
sogar im ersten Moment angenommen, sie wäre das Dienstmädchen, und nur die Tatsache, dass Jamie sie höflich als »Mrs. Sylvie« begrüßte, setzte mich davon in Kenntnis, dass die Dame des Hauses persönlich an die Tür gekommen war. Ich warf Jamie einen Seitenblick zu, weil ich mich fragte, wieso er sie kannte, doch dann sah ich noch einmal hin und begriff, dass ihm die gute Qualität ihres Kleids und die große Brosche aufgefallen war, die sie an der Brust trug.
Ihr Blick pendelte von ihm zu mir, und sie runzelte die Stirn.
»Dürfen wir hereinkommen«, fragte ich und trat ein, ohne ihre Antwort abzuwarten.
»Ich bin Mrs. Fraser, und das ist mein Mann«, sagte ich und wies auf Jamie, der jetzt schon rot um die Ohren aussah.
»Oh?«, sagte Mrs. Sylvie argwöhnisch. »Nun, das macht ein Pfund extra, wenn Ihr zu zweit seid.«
»Ich bitte um – oh!« Das Blut stieg mir ins Gesicht, als ich mit Verspätung begriff, was sie meinte. Jamie hatte es sofort verstanden und war puterrot angelaufen.
»Es ist schon gut«, versicherte sie mir. »Nicht das Übliche, das ist wahr, aber Dottie würde es nichts ausmachen, weil sie sowieso eine Vorliebe für Frauen hat.«
Jamie stieß ein leises Grollen aus, um mir zu sagen, dass diese ganze Sache meine Idee war und ich mir gefälligst überlegen sollte, wie ich sie ausführte.
»Ich fürchte, wir haben uns nicht deutlich ausgedrückt«, sagte ich so charmant wie möglich. »Wir … äh … haben nur ein paar Fragen an Eure -« Ich brach ab und suchte nach einem passenden Wort. »Angestellte« passte ja wohl nicht.
»Mädchen«, warf Jamie einsilbig ein.
»Ähm, ja. Mädchen.«
»Oh, so ist das.« Ihre kleinen, leuchtenden Augen huschten zwischen uns hin und her. »Methodisten, wie? Oder seid Ihr Baptisten? Nun, das macht dann zwei Pfund. Für den Ärger.«
Jamie lachte.
»Das ist nicht teuer«, merkte er an. »Oder ist es pro Mädchen?«
»Oh, pro Mädchen natürlich.«
»Zwei Pfund pro Seele? Aber, aber, wer würde sich denn die Erlösung bezahlen lassen?« Er zog sie jetzt unverhohlen auf, und sie – die jetzt eindeutig
begriffen hatte, dass wir weder potentielle Kunden noch hausierende Missionare waren – war belustigt, auch wenn sie darauf achtete, es sich nicht anmerken zu lassen.
»Ich«, erwiderte sie trocken. »Eine Hure kennt den Preis aller Dinge und den Wert von keinem – sagt man mir jedenfalls.«
Jamie nickte.
»Aye. Was ist denn dann der Preis für das Leben eines Eurer Mädchen, Mrs. Sylvie?«
Der Ausdruck der Belustigung verschwand aus ihren Augen, die deshalb nicht minder leuchteten, jetzt aber vor Argwohn.
»Droht Ihr mir etwa, Sir?« Sie richtete sich zu voller Größe auf und legte die Hand auf eine Glocke, die auf dem Tisch neben der Tür stand. »Ich bin nicht schutzlos, Sir, das versichere ich Euch. Ihr wärt gut beraten, sofort zu gehen.«
»Wenn ich vorhätte, Euch etwas anzutun, würde ich wohl kaum meine Frau mitbringen, damit sie zusieht«, sagte Jamie nachsichtig. »Ein solcher Perverser bin ich dann doch nicht.«
Ihre Hand, die den Griff der Glocke fest umklammert hatte, lockerte sich ein wenig.
»Ihr wärt überrascht«, sagte sie. »Nicht«, sagte sie und wies mit dem Finger auf ihn, »dass ich mit solchen Dingen Handel treibe – denkt das nur nicht -, aber ich habe sie schon mit angesehen.«
»Ich auch«, sagte Jamie, und der neckende Tonfall war aus seiner Stimme verschwunden. »Sagt mir, habt Ihr vielleicht schon einmal von einem Schotten namens Mac Dubh gehört?«
Bei diesen Worten veränderte sich ihr Gesicht; ganz offensichtlich hatte sie das. Ich war verwirrt, war aber so klug zu schweigen.
»Ja«, sagte sie. Ihr Blick war schärfer geworden. »Das wart Ihr, nicht wahr?«
Er verbeugte sich ernst.
Mrs. Sylvie spitzte kurz die Lippen; dann schien sie mich wieder zu bemerken.
»Hat er Euch davon erzählt?«, fragte sie.
»Ich bezweifle es«, sagte ich und sah ihn viel sagend an. Er wich meinem Blick gewissenhaft aus.
Mrs. Sylvie lachte kurz auf.
»Eins meiner Mädchen ist mit einem Mann ins ›Toad‹ gegangen -« Damit meinte sie eine üble Spelunke am Fluss namens »Toad and Spoon« . »Er ist übel mit ihr umgesprungen. Dann hat er sie in den Schankraum gezerrt und sie den Männern dort angeboten. Sie sagt, sie wusste, dass das ihren Tod bedeutete – Ihr wisst doch, dass man zu Tode vergewaltigt werden kann?« Diese Worte waren mit einer Mischung aus Unnahbarkeit und Herausforderung an mich
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