Ein Hauch von Schnee und Asche
war einige Tage überfällig, doch keiner von ihnen hatte es bis jetzt erwähnt – oder würde es vorerst erwähnen.
Sie warf einen raschen Blick hinter sich auf das Bettchen und zog eine kleine Grimasse, die er nicht deuten konnte.
»Kann man etwas, das den meisten Leuten einfach so passiert, als Berufung bezeichnen?«, fragte sie. »Ich meine ja nicht, dass es nicht wichtig ist, aber sollte man sich dazu nicht auch entscheiden können?«
Entscheidung. Nun, Jem verdankte seine Existenz durch und durch dem Zufall, doch dieses hier, dafür hatten sie sich entschieden, keine Frage.
»Ich weiß es nicht.« Er strich ihren langen Zopf wie ein Seil an ihrer Wirbelsäule glatt, und sie drückte sich automatisch dichter an ihn. Er hatte den Eindruck, dass sie sich irgendwie … reifer anfühlte als sonst, dass ihre Brüste weicher waren. Größer.
»Jem schläft«, sagte sie leise, und er hörte das überraschend tiefe, langsame Atmen aus dem Bettchen. Sie legte ihre Hand wieder auf seine Brust, die andere ein Stück tiefer.
Als er ein wenig später selbst auf das Traumland zudriftete, hörte er sie etwas sagen und versuchte, sich so weit hochzurappeln, dass er sie fragen konnte, was es war, brachte es jedoch nur zu einem kurzen, fragenden »Mm?«.
»Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich eine Berufung habe «, wiederholte sie und blickte zum Schatten zwischen den Deckenbalken hinauf. »Etwas, das zu tun mir bestimmt ist. Aber ich weiß noch nicht, was es ist.«
»Tja, du warst definitiv nicht dazu bestimmt, Nonne zu werden«, sagte er schläfrig. »Darüber hinaus – ich weiß es nicht.«
Das Gesicht des Mannes lag im Dunklen. Er sah ein Auge, ein feuchtes Aufglänzen, und sein Herz schlug voller Angst. Die Bodhrana sprachen .
Er hatte ein Stück Holz in der Hand, einen Trommelschläger, einen Knüppel – es schien die Größe zu verändern, und doch konnte er es leicht handhaben, ein Teil seiner Hand, der auf das Trommelfell schlug, den Schädel des Mannes einschlug, dessen Augen sich ihm zuwandten, glänzend vor Entsetzen.
Er hatte ein Tier dabei, groß und halb unsichtbar strich es an seinen Oberschenkeln vorbei in die Dunkelheit, gierend nach Blut, und er jagte ihm hinterher.
Der Knüppel fiel und fiel, hob sich und fiel, auf und ab, auf und ab mit jedem Zucken seines Handgelenks, das Bodhran wurde in ihm lebendig und sprach durch ihn, der Trommelschlag, der in seinem Arm vibrierte, ein Schädel, der mit einem leisen, feuchten Geräusch nachgab.
Für diese Sekunde verbunden, näher beieinander als Mann und Frau, im Herzen vereint, während sich Schrecken und Blutdurst diesem leisen feuchten
Schlag und der Leere der Nacht hingaben. Der Körper fiel zu Boden, und er spürte die Trennung, ein schmerzhafter Verlust, spürte Erde und Kiefernnadeln rau an seiner Wange, als er stürzte.
Die Augen schimmerten feucht und leer, Gesicht und Lippen erschlafften im Feuerschein, ein Gesicht, das er kannte, doch den Namen des Toten kannte er nicht, und das Tier atmete hinter ihm in der Nacht, sein Atem heiß in seinem Nacken. Alles brannte, Gras, Bäume, Himmel.
Die Bodhrana sprachen in ihm, doch er konnte nicht ausmachen, was sie sagten, und er schlug auf den Boden ein, auf den weichen schlaffen Körper, auf den brennenden Baum, von einer Wut erfüllt, die die Funken fliegen ließ, damit die Trommeln sein Blut verließen und deutlich sprachen. Dann entfiel ihm der Trommelschläger, seine Hand rammte den Baum und ging in Flammen auf.
Er wachte keuchend auf, weil seine Hand brannte. Er hob instinktiv den Handrücken an den Mund und schmeckte silbriges Blut. Sein Herz hämmerte so sehr, dass er kaum atmen konnte, und er kämpfte dagegen an, versuchte, sein Herz zu verlangsamen, weiterzuatmen, die Panik in den Griff zu bekommen, zu verhindern, dass sich seine Kehle zuschnürte und ihn erstickte.
Der Schmerz in seiner Hand half, ihn von dem Gedanken ans Ersticken abzulenken. Er hatte im Schlaf einen Boxhieb ausgeteilt und mit voller Wucht die Holzwand der Hütte getroffen. Himmel, es fühlte sich an, als seien seine Fingerknöchel geplatzt. Er presste die Handwurzel der anderen Hand fest dagegen und biss die Zähne aufeinander.
Drehte sich auf die Seite und sah den feuchten Glanz eines Augenpaars im letzten Feuerschein und hätte geschrien, wenn er die Luft dazu gehabt hätte.
»Alles in Ordnung, Roger?«, flüsterte Brianna mit drängender Stimme. Ihre Hand berührte seine Schulter, seinen Rücken,
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