Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
einen Mann finden, dem etwas an ihr und den Kindern liegt. Der für sie sorgt. Den kleinen Henri beschützt.«
    »Er meint – meinte -, er könnte das nicht?«
    Jamie fixierte mich scharf.
    »Sassenach«, sagte er. »Er weiß sehr gut, dass er es nicht kann.«
    Ich holte Luft, um zu protestieren, biss mir aber auf die Lippe, weil mir keine passende Erwiderung einfiel.
    Jamie stand auf und ging unruhig durch das Zimmer, hob hier und dort einen Gegenstand auf und legte ihn wieder hin.
    »Würdest du das auch tun?«, fragte ich nach einer Weile. »Unter denselben Umständen, meine ich.«
    Er hielt ein paar Sekunden inne, mit dem Rücken zu mir, die Hand auf meiner Haarbürste.
    »Nein«, sagte er leise. »Aber es ist hart für einen Mann, damit zu leben.«
    »Nun, das verstehe ich ja …«, begann ich langsam, doch er fuhr herum, um mich anzusehen. Sein Gesicht war angespannt und von einer Erschöpfung erfüllt, die wenig mit seinem Schlafmangel zu tun hatte.
    »Nein, Sassenach«, sagte er. »Das tust du nicht.« Er sprach sanft, aber in seiner Stimme lag ein solcher Unterton der Verzweiflung, dass mir die Tränen in die Augen stiegen.
    Es war ebenso sehr schiere körperliche Entkräftung wie emotionale Not, doch wenn ich die Kontrolle aufgab, das wusste ich, würde das Ende völlige tränennasse Auflösung sein, und die brauchte momentan niemand. Ich biss mir fest auf die Lippe und wischte mir mit der Kante des Bettlakens über die Augen.
    Ich hörte das Geräusch, mit dem er sich an meine Seite kniete, und streckte blind die Hand nach ihm aus, um seinen Kopf an meine Brust zu ziehen. Er legte die Arme um mich und seufzte tief, sein Atem warm auf meiner Haut durch den Leinenstoff des Nachthemdes. Ich strich ihm mit zitternder Hand über die Haare und spürte, wie er plötzlich nachgab. Die Anspannung verließ ihn wie Wasser, das aus einem Krug läuft.
    In diesem Moment hatte ich ein sehr merkwürdiges Gefühl – als hätte er die Kraft, an die er sich bis jetzt geklammert hatte, losgelassen … und als
strömte sie jetzt in mich hinein. Meine schwache Kontrolle über meinen Körper nahm zu, während ich den seinen hielt, und mein Herz hörte auf zu stolpern und nahm stattdessen seinen normalen, festen, unermüdlichen Schlag wieder auf.
    Die Tränen waren zurückgewichen, obwohl sie noch gefährlich dicht unter der Oberfläche lauerten. Ich zeichnete seine Gesichtszüge mit den Fingern nach, rötliche Bronze, von Sonne und Sorge mit Linien durchzogen; die hohe Stirn mit den dichten, roten Augenbrauen, die weiten Flächen seiner Wangen, die lange Nase, so gerade wie eine Messerklinge. Die geschlossenen Augen, schräg und rätselhaft mit diesen merkwürdigen Wimpern, blond an der Wurzel, so tiefbraun an der Spitze, dass sie fast schwarz erschienen.
    »Aber weißt du das denn nicht?«, sagte ich ganz leise und zeichnete die schmale, klare Kontur seines Ohrs nach. Winzige, steife blonde Haare sprossen in einem kleinen Büschel aus der Ohrmuschel und kitzelten meinen Finger. »Weiß es denn keiner von euch? Dass ihr es seid. Nicht was ihr geben oder tun oder leisten könnt. Einfach nur ihr.«
    Er holte tief erschauernd Luft und nickte, ohne jedoch die Augen zu öffnen.
    »Ich weiß. Ich habe es ihm gesagt, Fergus«, murmelte er. »Oder zumindest glaube ich das. Ich habe eine ganze Menge Dinge gesagt.«
    Sie hatten gemeinsam an der Quelle gekniet, die Arme umeinander geschlungen, von Blut und Wasser durchnässt, fest aneinander geklammert als könnte er Fergus mit schierer Willenskraft auf der Erde halten, bei seiner Familie. Und er hatte keine Ahnung mehr, was er alles von sich gegeben hatte, vergessen in der Leidenschaft des Augenblicks – bis zum Schluss.
    »Du musst weiterleben, um ihretwillen – auch wenn du es nicht um deinetwillen tun würdest«, hatte er geflüstert, Fergus’ Gesicht an seine Schulter gepresst, das schwarze Haar nass von Schweiß und Wasser, kalt an seiner Wange. »Tu comprends, mon enfant, mon fils? Comprends-tu?«
    Ich spürte die Bewegung seiner Kehle, als er schluckte.
    »Ich wusste doch, dass du im Sterben lagst«, sagte er sanft. »Ich war mir sicher, dass du bei meiner Rückkehr zum Haus nicht mehr da sein würdest und ich allein sein würde. Ich glaube, ich habe in diesem Moment weniger mit Fergus gesprochen als mit mir selbst.«
    Dann hob er den Kopf und sah mich durch einen Schleier aus Tränen und Gelächter an.
    »O Gott, Claire«, sagte er. »Ich wäre so wütend gewesen, wenn du

Weitere Kostenlose Bücher