Ein Hauch von Schnee und Asche
sie und bemühte
sich um einen genauso sachlichen Tonfall wie er. Er lachte, und die getüpfelten Linien seiner Tätowierungen verloren ihre Strenge.
»Nein«, sagte er. »Vielleicht nicht das Beste – das ist schließlich Roger Mac, aye? Aber es freut mich zu hören, dass ich auch nicht der Schlimmste gewesen wäre. Was meinst du, besser als Ronnie Sinclair? Oder schlimmer als der Anwalt Forbes?«
»Ha und nochmals ha.« Sie weigerte sich, sich von seinen Hänseleien aus der Reserve locken zu lassen. »Du wärst mindestens der Dritte auf meiner Liste gewesen.«
»Der Dritte?« Jetzt konnte sie sich seiner Aufmerksamkeit sicher sein. »Was? Wer war denn der Zweite?« Die Vorstellung, dass jemand noch vor ihm kommen könnte, schien ihn tatsächlich zu ärgern, und sie lachte.
»Lord John Grey.«
»Oh? Oh, nun ja. Aye, er käme wohl in Frage«, räumte Ian widerstrebend ein. »Obwohl er natürlich -« Er hielt abrupt inne und bedachte sie mit einem vorsichtigen Blick.
Auch sie durchfuhr ein warnender Stich. Wusste Ian von John Greys privaten Vorlieben? Seinem merkwürdigen Gesichtsausdruck nach glaubte sie es schon – doch wenn nicht, stand es ihr nicht zu, Lord Johns Geheimnisse zu enthüllen.
»Bist du ihm schon einmal begegnet?«, fragte sie neugierig. Ian war mit ihren Eltern zu den Irokesen aufgebrochen, um Roger zu retten, bevor Lord John auf der Plantage ihrer Tante erschienen war, wo sie selbst den Adligen kennen gelernt hatte.
»Oh, aye.« Seine Miene war noch argwöhnisch, obwohl er sich etwas entspannt hatte. »Vor ein paar Jahren. Ihm und seinem… Sohn. Stiefsohn meine ich. Sie waren auf dem Weg nach Virginia und haben in Fraser’s Ridge eine Pause eingelegt. Ich habe ihn mit den Masern angesteckt.« Er grinste ganz plötzlich. »Oder zumindest hatte er die Masern. Tante Claire hat ihn gesund gepflegt. Und du bist ihm auch begegnet?«
»Ja, auf River Run. Ian, der Fisch hat Feuer gefangen.«
So war es, und er riss den Spieß mit einem leisen gälischen Ausruf aus den Flammen und wedelte mit seinen angesengten Fingern, um sie abzukühlen. Nachdem sie die Fische im Gras gelöscht hatten, erwiesen sie sich als gut essbar, wenn auch außen etwas sehr knusprig, und gaben ein ganz passables Abendessen ab, zu dem es Brot und Bier gab.
»Hast du dann auf River Run Lord Johns Sohn kennen gelernt?«, nahm er ihr Gespräch wieder auf. »Willie, so heißt er. Ein netter Junge. Er ist in den Abort gefallen«, fügte er nachdenklich hinzu.
»In den Abort gefallen?«, sagte sie lachend. »Das klingt, als wäre er ein Idiot. Oder war er einfach nur so klein?«
»Nein, für sein Alter war er gerade richtig. Und gar nicht so dumm für einen Engländer. Aber eigentlich war es ja auch nicht seine Schuld. Wir
haben uns eine Schlange angesehen, und dann ist sie über den Ast auf uns zu gekrochen und … Jedenfalls war es ein Unfall«, schloss er und gab Rollo noch ein Stück Fisch. »Aber du selbst bist ihm also noch nicht begegnet?«
»Nein, und ich glaube, dass du absichtlich vom Thema ablenkst.«
»Aye, das stimmt. Möchtest du noch einen Schluck Bier?«
Sie sah ihn mit hoch gezogener Augenbraue an – er brauchte gar nicht zu glauben, dass er so leicht davonkommen würde -, nickte aber und nahm die Flasche entgegen.
Sie schwiegen eine Weile, tranken Bier und sahen zu, wie das letzte Licht in Dunkelheit versank und die Sterne aufgingen.
Der Duft der Kiefern wurde nun intensiver, denn ihr Harz hatte die Wärme des Tages gespeichert, und in einiger Entfernung hörte sie dann und wann einen Biberschwanz wie einen Gewehrschuss auf das Wasser klatschen – offenbar hatten die Biber Wachen aufgestellt, für den Fall, dass sie oder Rollo im Dunklen zurückschlichen, dachte sie ironisch.
Ian hatte sich zum Schutz gegen die zunehmende Kälte seine Decke um die Schultern geworfen und lag flach im Gras und starrte zum Gewölbe des Himmels hinauf.
Sie versuchte erst gar nicht, sich den Anschein zu geben, als beobachtete sie ihn nicht. Und sie war sich sicher, dass er sich dessen bewusst war. Im Moment war sein Gesicht reglos und ließ seine übliche Lebendigkeit vermissen – doch es lag kein Argwohn darin. Er dachte nach, und sie räumte ihm alle Zeit ein, die er brauchte; es war Herbst, und die Nacht würde lang genug sein für viele Dinge.
Sie wünschte, sie wäre auf die Idee gekommen, ihre Mutter ausführlicher nach dem Mädchen zu fragen, das Ian Emily nannte – ihr Mohawk-Name war vielsilbig und
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