Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
ersten Vater – an Frank Randall, und diese Erinnerung erfüllte sie mit einem leisen Gefühl der Wärme. Dies war eine Stelle, die sie ihm gern gezeigt hätte.
    Sie hatten oft in den Adirondacks Urlaub gemacht; ein anderes Gebirge, andere Bäume – doch über den schattigen Tälern und fließenden Gewässern hatte ein ähnlich rätselhaftes Schweigen gelegen. Manchmal war ihre Mutter auch mitgekommen, doch meistens waren nur sie beide weit in den Wald hinaufgewandert, ohne viel zu reden, glücklich und zufrieden in der Gesellschaft des Himmels.
    Auf einmal wurde das Wasser wieder lauter; ein anderer Wasserfall war direkt in ihrer Nähe.
    »Gleich da, Cousinchen«, sagte Ian leise und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung, ihm zu folgen.
    Sie traten aus den Bäumen hinaus, und sie sah, dass die Schlucht hier
plötzlich wegbrach und das Wasser fast sieben Meter tief in ein Becken stürzte. Ian führte sie an der Oberkante des Wasserfalls entlang; sie konnte das Wasser unter sich rauschen hören, doch hier oben war das Ufer dicht mit Ried bewachsen, durch das sie sich ihren Weg bahnen mussten, und sie traten welke Goldrutenstängel zu Boden und wichen den Grashüpfern aus, die panisch zu ihren Füßen aufschossen.
    »Da, sieh«, sagte Ian und streckte die Hand aus, um die Lorbeerzweige vor ihr beiseite zu schieben.
    »Wow!«
    Sie erkannte sofort, was es war. Es war unverwechselbar, obwohl es zum Großteil unsichtbar war, verschüttet unter der bröckelnden Böschung am anderen Ufer der Schlucht. Vor nicht allzu langer Zeit hatte eine Flut den Wasserspiegel des Bachs steigen lassen und die Böschung unterspült, so dass ein riesiger Block aus Gestein und Schlamm abgebrochen war und das in ihm verborgene Geheimnis preisgegeben hatte.
    Die gebogenen Rippen erhoben sich wie ein Fächer aus dem Schmutz, und sie nahm vage ein Durcheinander von Gegenständen wahr, das halb im Geröll am Fuß der Böschung vergraben war; enorme Gegenstände, knotig und verdreht. Möglich, dass es Knochen waren, möglich, dass es einfach nur Steine waren – aber es war der Stoßzahn, der ihren Blick auf sich zog. Er ragte als riesiger Bogen aus der Böschung, auf Anhieb vertraut und umso verblüffender, eben weil er ihr so vertraut erschien.
    »Du weißt, was das ist?«, fragte Ian aufgeregt und ließ ihr Gesicht nicht aus den Augen. »Du hast so etwas schon einmal gesehen?«
    »O ja«, sagte sie erschauernd, und eine Gänsehaut zog sich über ihre Unterarme, obwohl ihr die Nachmittagssonne warm auf den Rücken schien. Nicht vor Angst, sondern aus schierer Ehrfurcht vor dem Anblick, der sich ihr bot, und aus einer Art ungläubiger Freude heraus. »O ja. Das habe ich.«
    »Was?« Ians Stimme war immer noch gedämpft, als könnte die Kreatur sie hören. »Was ist es?«
    »Ein Mammut«, sagte sie und ertappte sich dabei, dass sie ebenfalls flüsterte. Die Sonne hatte den Zenit überschritten; die Sohle des Flussbetts lag schon im Schatten. Licht fiel auf den fleckigen Bogen aus uraltem Elfenbein und schärfte die Konturen der hochstirnigen Schädelhöhle, an der er befestigt war. Der Schädel steckte leicht schräg im Boden, der eine sichtbare Zahn ragte hoch auf, die Augenhöhle ein schwarzes Rätsel.
    Der Schauder kehrte zurück, und sie zog die Schultern hoch. Man konnte leicht das Gefühl bekommen, als könnte sich das Tier jeden Moment aus dem Lehm winden und seinen gigantischen Kopf mit den leeren Augen in ihre Richtung wenden, sich die Erde von den Stoßzähnen und den knochigen Schultern schütteln, sich in Bewegung setzen und den Boden erbeben lassen, wenn seine langen Zehen auftraten und im Schlamm einsanken.

    »So nennt man es – Mammut? Aye, nun ja … Es ist ziemlich groß.« Ians Stimme zerstreute die Illusion, dass sich das Tier gleich bewegen könnte, und sie konnte endlich den Blick davon lösen – obwohl sie das Gefühl hatte, alle paar Sekunden wieder hinsehen zu müssen, um sicherzugehen, dass es noch da war.
    »Sein lateinischer Name ist Mammuthus «, erklärte sie und räusperte sich. »In einem New Yorker Museum ist ein vollständiges Skelett ausgestellt. Ich habe es mir schon oft angesehen. Und ich habe Bilder davon in Büchern gesehen.« Sie richtete den Blick wieder auf die Kreatur in der Böschung.
    »Ein Museum? Also ist es kein Tier, das es da gibt, wo … wenn« – er verhaspelte sich -, »wo du herkommst? Nicht lebendig, meine ich?« Er machte einen ziemlich enttäuschten Eindruck.
    Sie hätte am liebsten

Weitere Kostenlose Bücher