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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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hier waren. »Ian, du hast gesagt, das, was du mir zeigen wolltest, hätte etwas mit deiner Frau zu tun. Ist das…?« Sie wies mit hochgezogenen Augenbrauen auf die Böschung.
    Er antwortete nicht sogleich, sondern legte den Kopf zurück und betrachtete den gigantischen Stoßzahn.

    »Ich habe hin und wieder Geschichten gehört. Bei den Mohawk, meine ich. Sie haben sich von seltsamen Dingen erzählt, auf die die Männer bei der Jagd gestoßen sind. Geister, die im Felsen gefangen sind, und wie sie dort hingelangt sind. Meistens böse Geister. Und ich habe mir gedacht, wenn das hier auch so etwas ist…«
    Er brach ab und wandte sich ihr zu, ernst und konzentriert.
    »Ich musste es von dir hören, aye? Ob es das ist oder nicht. Denn wenn es so gewesen wäre, dann habe ich vielleicht etwas Falsches gedacht.«
    »Das ist es nicht«, versicherte sie ihm. »Aber was in aller Welt hast du denn gedacht?«
    »Über Gott«, sagte er und überraschte sie erneut. Er leckte sich über die Lippen, unsicher, wie er fortfahren sollte.
    »Yeksa’a – das Kind. Ich habe sie nicht taufen lassen«, sagte er. »Ich konnte es nicht. Oder vielleicht hätte ich es ja gekonnt – man kann es schließlich selbst tun, wenn kein Pastor in der Nähe ist. Aber ich hatte nicht den Mut, es zu versuchen. Ich – ich habe sie nie zu Gesicht bekommen. Sie hatten sie schon eingewickelt… Sie hätten es nicht gern gesehen, wenn ich versucht hätte …« Seine Stimme erstarb.
    »Yeksa’a«, sagte sie leise. »War das der Name deiner – deiner Tochter?«
    Er schüttelte den Kopf und verzog ironisch den Mund.
    »Es bedeutet einfach nur ›kleines Mädchen‹. Die Kahnyen’kehaka geben ihren Kindern bei der Geburt noch keine Namen. Erst später. Wenn …« Er verstummte und räusperte sich. »Wenn es am Leben bleibt. Sie kämen nie auf den Gedanken, einem ungeborenen Kind einen Namen zu geben.«
    »Aber du hast es getan?«, fragte sie sanft.
    Er hob den Kopf und holte Luft mit einem feuchten Geräusch, so als zöge man einen nassen Verband von einer frischen Wunde.
    »Iseabail«, sagte er, und sie wusste, dass es das erste – und vermutlich auch das einzige – Mal war, dass er den Namen laut aussprach. »Wenn es ein Sohn gewesen wäre, hätte ich ihn Jamie genannt.« Er sah sie mit dem Hauch eines Lächelns an. »Nur in meinen Gedanken, aye.«
    Dann atmete er seufzend aus, zog die Schultern hoch und legte den Kopf auf die Knie.
    »Was ich mich frage«, sagte er kurz darauf mit viel zu kontrollierter Stimme, »ist dies: Lag es an mir?«
    »Ian! Du meinst, war es deine Schuld, dass das Baby gestorben ist? Warum sollte es das?«
    »Ich bin gegangen«, sagte er schlicht und richtete sich auf. »Habe mich abgewandt, habe aufgehört, Christ zu sein, Schotte zu sein. Sie haben mich zum Fluss geführt und mich mit Sand abgerieben, um das weiße Blut fortzuwaschen. Sie haben mir meinen Namen gegeben – Okwaho’kenha – und gesagt, ich sei ein Mohawk. Aber das war ich nicht, nicht in Wirklichkeit.«
    Er seufzte noch einmal tief, und sie legte ihm eine Hand auf den Rücken
und spürte dabei seine Rückenwirbel durch das Leder seines Hemdes hindurch. Er isst nicht annähernd genug, dachte sie.
    »Aber ich war ebenso wenig das, was ich einmal gewesen war«, fuhr er mit beinahe nüchterner Stimme fort. »Ich habe versucht, das zu sein, was sie wollten, verstehst du? Also habe ich aufgehört, zu Gott oder der Jungfrau Maria oder der heiligen Brigitta zu beten. Ich habe auf das gehört, was mir Emily über ihre Götter erzählt hat, die Geister, die in den Bäumen wohnen und all das. Aber wenn ich mit den Männern in die Schwitzhütte gegangen bin oder am Feuer gesessen und die Geschichten gehört habe… sind sie mir genauso wahr vorgekommen wie früher Christus und seine Heiligen.«
    Er wandte den Kopf und sah unvermittelt zu ihr auf, halb bestürzt, halb trotzig.
    »Ich bin der Herr, dein Gott« , sagte er. » Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Aber das hatte ich, nicht wahr? Das ist eine Todsünde, oder nicht?«
    Am liebsten hätte sie gesagt, nein, natürlich nicht. Oder schwach eingewendet, dass sie kein Pastor sei, wie solle sie das also beurteilen? Doch das ging beides nicht; er war nicht darauf aus, sich auf dem einfachen Weg beruhigen zu lassen. Und ihm lediglich aus Schwäche jede Verantwortung abzusprechen, hätte ihm keinen Dienst erwiesen.
    Sie holte tief Luft und atmete wieder aus. Es war schon viele Jahre her, seit sie den

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