Ein Hauch von Schnee und Asche
Und… Ahkote’ohskennonton war da. Er hat an unserem Herdfeuer gegessen. Und er hat sie beobachtet. Sie hat angefangen, seine Blicke zu erwidern.«
Eines Tages hatte Ian ein Stück Holz für einen Bogen bearbeitet. Er hatte sich ganz auf den Verlauf der Körnung unter seinem Messer konzentriert und versucht, in den Wirbeln die Dinge zu sehen, die Emily darin sah, die Stimme des Baumes zu hören, wie sie ihm gesagt hatte. Doch es war nicht der Baum, der in seinem Rücken sprach.
»Enkelsohn«, sagte eine trockene, alte Stimme mit einem Hauch von Ironie.
Er ließ das Messer fallen, das nur knapp seinen Fuß verfehlte, und fuhr herum, den Bogen in der Hand. Tewaktenyonh stand knapp zwei Meter von ihm entfernt und hatte eine Augenbraue hochgezogen, belustigt, weil es ihr gelungen war, sich ungehört an ihn heranzuschleichen.
»Großmutter«, sagte er und nickte in ironischer Anerkennung ihrer Geschicklichkeit. Sie mochte ja uralt sein, doch niemand bewegte sich geräuschloser als sie. Daher ihr Ruf; die Kinder des Dorfes lebten in respektvoller Furcht vor ihr, weil sie gehört hatten, sie könne sich in Luft auflösen und dann an anderer Stelle wieder auftauchen, direkt vor den schuldigen Augen etwaiger Missetäter.
»Komm mit mir, Wolfsbruder«, sagte sie und wandte sich um, ohne seine Antwort abzuwarten – mit der sie auch gar nicht rechnete.
Sie war schon außer Sichtweite, als er seinen halbfertigen Bogen unter einen Busch gelegt, sein Messer aufgehoben und Rollo herbeigepfiffen hatte, doch er holte sie problemlos ein.
Sie hatte ihn durch den Wald vom Dorf fortgeführt bis zu einer Stelle, an der ein Wildwechsel begann. Dort hatte sie ihm einen Beutel Salz und ein Wampumarmband gegeben und hatte ihn gebeten zu gehen.
»Und du bist gegangen?«, fragte Brianna nach längerem Schweigen. »Einfach – so?«
»Einfach so«, sagte er und sah sie zum ersten Mal an, seit sie am Morgen aus dem Lager aufgebrochen waren. Sein Gesicht war ausgezehrt, gezeichnet von seinen Erinnerungen. Der Schweiß glänzte auf seinen Wangen, doch er war so blass, dass sich die gepunkteten Linien seiner Tätowierungen scharf abzeichneten – Perforationslinien, an deren Verlauf entlang man sein Gesicht zerreißen konnte.
Sie schluckte ein paarmal, bevor sie etwas sagen konnte, brachte dann jedoch einen ähnlich sachlichen Tonfall wie er zuwege.
»Ist es noch sehr weit?«, fragte sie. »Unser Ziel?«
»Nein«, sagte er leise. »Wir sind fast da.« Und wandte sich ab, um weiter vorauszugehen.
Eine halbe Stunde später hatten sie eine Stelle erreicht, an der sich der Fluss tief in sein Bett gefressen und es zu einer kleinen Schlucht verbreitert hatte. Silberbirken und Schneeballdickichte wuchsen an den felsigen Wänden, und ihre glatten Wurzeln wanden sich durch das Gestein wie Finger, die sich in die Erde klammerten.
Bei diesen Gedanken kribbelte Briannas Nacken. Die Wasserfälle lagen jetzt weit über ihnen, und das Lärmen des Wassers hatte nachgelassen. Hier sprach der Bach mit sich selbst, während er über die Felsen rann und durch Matten aus Kresse und Wasserlinsen säuselte.
Eigentlich hatte sie den Eindruck, dass man oben am Rand der Schlucht leichter gehen konnte, doch Ian führte sie ohne zu zögern hinein, und sie folgte ihm entschlossen, obwohl ihr langes Gewehr sie beim Klettern über das Durcheinander aus Felsen und Baumwurzeln behinderte. Rollo, der für ihre ungeschickten Anstrengungen nichts als Verachtung übrig hatte, stürzte sich in den Bach, in dem er nicht stehen konnte, und schwamm mit angelegten Ohren, so dass er aussah wie ein überdimensionaler Otter.
Während er sich auf die Bewältigung des schwierigen Terrains konzentrierte, hatte Ian seine Selbstbeherrschung wiedererlangt. Dann und wann blieb er stehen und streckte die Hand aus, um ihr über eine besonders steile Stelle oder einen durch eine Überflutung entwurzelten Baum hinweg zu helfen, doch er wich ihrem Blick aus, und seine verschlossene Miene gab keinen Gedanken preis.
Ihre Neugier war auf dem absoluten Höhepunkt, aber es war klar, dass er vorerst alles gesagt hatte. Es war erst kurz nach Mittag, aber im Schatten der Birken herrschte ein goldenes Licht, das alles ringsum irgendwie gedämpft, beinahe verzaubert aussehen ließ. Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wozu diese Expedition im Zusammenhang mit Ians Erzählung dienen könnte – doch dies war ein Ort, an dem beinahe alles möglich zu sein schien.
Sie dachte plötzlich an ihren
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