Ein Hauch von Schnee und Asche
Haut besaß; diese umhing das Tier in entspannten Falten, während es auf dem Rücken lag, die Pfoten über dem gefleckten Bauch gekreuzt. Beim Klang ihres Namens prustete sie und öffnete ein Auge einen Spaltbreit, dann schloss sie es wieder.
»Ich sehe, dass sich hier einiges verändert hat, seit ich das letzte Mal hier gewesen bin«, merkte Jamie an und erhob sich wieder. »Wo ist Duncan? Und Ulysses?«
»Fort. Sie suchen Phaedre.« Jocasta hatte abgenommen; ihre hohen MacKenzie-Wangenknochen zeichneten sich scharf ab, und ihre Haut sah dünn und faltig aus.
»Suchen?« Jamie sah sie scharf an. »Was ist denn mit ihr?«
»Davongelaufen.« Sie sagte es mit ihrer üblichen Selbstkontrolle, doch ihre Stimme war freudlos.
»Davongelaufen? Aber – bist du sicher?« Ihr Handarbeitskorb war umgekippt, der Inhalt auf dem Boden verteilt. Ich kniete mich hin und fing an, das Durcheinander aufzuräumen und die verstreuten Garnknäuel einzusammeln.
»Nun, sie ist fort«, sagte Jocasta heftig. »Entweder ist sie davongelaufen, oder jemand hat sie gestohlen. Und ich kann mir nicht vorstellen, wer die Dreistigkeit oder die Fähigkeit besitzt, sie aus meinem Haus zu entführen, ohne dass es jemand sieht.«
Ich wechselte einen schnellen Blick mit Jamie, der den Kopf schüttelte und die Stirn runzelte. Jocasta rieb eine Falte ihres Rocks zwischen Daumen und Zeigefinger; ich konnte sehen, dass der Stoff davon an einigen Stellen dünn geworden war, weil es wohl eine Angewohnheit war. Jamie sah es auch.
»Seit wann ist sie fort, Tante Jocasta?«, fragte er leise.
»Seit vier Wochen. Duncan und Ulysses sind seit zwei Wochen fort.«
Das passte mit dem Zeitpunkt zusammen, an dem die Notiz eingetroffen war. Angesichts der Launen des Transports war es aber unmöglich zu sagen, wie lange vor Phaedres Verschwinden der Brief tatsächlich geschrieben worden war.
»Ich sehe, dass sich Duncan bemüht hat, dir Gesellschaft dazulassen«, merkte Jamie an. Samson hatte die Rolle des Wachhundes aufgegeben und schnüffelte eifrig an Jamies Schuhen. Delilah rollte sich genüsslich stöhnend auf die Seite und öffnete ihre leuchtenden braunen Augen, mit denen sie mich in aller Seelenruhe betrachtete.
»Oh, aye, sie leisten mir Gesellschaft.« Jocasta lehnte sich halb widerwillig aus ihrem Sessel und machte den Kopf der Hündin ausfindig, um sie hinter den langen Schlappohren zu kraulen. »Obwohl Duncan sie zu meinem Schutz gedacht hat, zumindest sagt er das.«
»Eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme«, sagte Jamie geduldig. So war es; wir hatten zwar keine Neuigkeiten von Stephen Bonnet, und Jocasta hatte die Stimme des Maskierten nicht mehr gehört. Doch solange uns die konkrete Sicherheit einer Leiche fehlte, konnte jeder der beiden jederzeit auftauchen.
»Warum könnte sie fortgelaufen sein, Tante Jocasta?« Sein Ton war nach wie vor geduldig, aber beharrlich.
Jocasta presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
»Ich habe keine Ahnung, Neffe.«
»Nichts, was sich in letzter Zeit ereignet hätte? Nichts Ungewöhnliches?«, drängte er.
»Meinst du nicht, das hätte ich sofort gesagt?«, fragte sie scharf. »Nein. Ich bin eines Morgens spät wach geworden und konnte sie nicht in meinem Zimmer hören. Es war kein Tee am Bett, und das Feuer war ausgegangen; ich konnte die Asche riechen. Ich habe nach ihr gerufen und keine Antwort erhalten. Sie war fort – spurlos verschwunden.« Sie neigte den Kopf mit grimmiger Miene in seine Richtung.
Ich sah Jamie mit hochgezogener Augenbraue an und fasste an die Tasche, die ich an meiner Taille trug und die das Briefchen enthielt. Sollten wir es ihr sagen?
Er nickte, und ich zog den Zettel aus meiner Tasche und faltete ihn auf der Armlehne ihres Sessels auseinander, während er es ihr erklärte.
Jocastas missmutige Miene verwandelte sich in Verwunderung.
»Warum sollte sie denn nach dir schicken, a nighean ?«, fragte sie an mich gewandt.
»Ich weiß es nicht – vielleicht war sie schwanger?«, meinte ich. »Oder sie hatte sich mit – einer Krankheit angesteckt?« Ich wollte nicht offen von Syphilis sprechen, aber es war schließlich möglich. Wenn Manfred Mrs. Sylvie angesteckt hatte und diese die Infektion an einen oder mehrere ihrer Kunden in Cross Creek weitergegeben hatte, die daraufhin auf River Run zu Besuch gewesen waren… aber das bedeutete ja eventuell, dass Phaedre ein Verhältnis mit einem Weißen hatte. Das war etwas, was eine Sklavin um jeden Preis geheim halten
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