Ein Hauch von Schnee und Asche
zynisch und abschätzend zusammengekniffen.
Jocasta durchsuchte den Inhalt der Truhe. Ihre Finger huschten hin und her wie Motten auf der Jagd. Sie berührte die eine Schachtel mit den Miniaturen und hob sie mit einem leisen Grunzen der Genugtuung hoch.
Sie fuhr langsam mit dem Finger über den Rand einer jeden Miniatur, und ich sah, dass die Rahmen unterschiedliche Muster hatten; quadratisch oder oval, glattes vergoldetes Holz, angelaufenes Silber zu einer Tressenkante geschmiedet, ein anderer mit winzigen Rosetten besetzt. Sie fand ein Bild, das
sie offensichtlich erkannte, zog es aus der Schachtel und reichte es mir geistesabwesend, um sich wieder ihrer Suche zu widmen.
Auch diese Miniatur zeigte Hector Cameron – aber dieses Porträt war Jahre vor dem anderen entstanden. Dunkles gewelltes Haar lag lose auf seiner Schulter, in einem kleinen Schmuckzopf an der Seite steckten zwei Rebhuhnfedern, nach uralter Highlandart. Dieselben soliden Knochen, doch die Haut war fest; er war ein gut aussehender Mann gewesen, Hector Cameron.
Es war sein üblicher Ausdruck; ob aus Angewohnheit oder durch einen Geburtsfehler – hier war das rechte Auge ebenso zusammengekniffen, wenn auch nicht so stark wie bei dem anderen Porträt.
Jocasta unterbrach mich in meiner Betrachtung, indem sie mir die Hand auf den Arm legte.
»Ist das das Mädchen?«, fragte sie und hielt mir noch eine Miniatur entgegen.
Ich ergriff sie verwundert und schnappte nach Luft, als ich sie umdrehte. Es war Phaedre, gemalt, als sie zirka zwölf oder dreizehn war. Ihre übliche Haube fehlte; sie hatte ein schlichtes Tuch über ihr Haar gebunden, was ihre Gesichtsknochen stark betonte. Hector Camerons Knochen.
Jocasta stieß mit dem Fuß gegen die Kiste mit den Bildern.
»Nimm sie deiner Tochter mit, Neffe. Sag ihr, sie soll sie übermalen – es wäre eine Schande, die Leinwand zu verschwenden.« Ohne eine Reaktion abzuwarten, setzte sie sich allein wieder zum Haus in Bewegung und zögerte nur einmal kurz an der Gabelung des Weges, wo sie sich von Duft und Erinnerung leiten ließ.
Tiefes Schweigen folgte auf Jocastas Abgang. Nur der Gesang einer Spottdrossel auf einer Kiefer neben der Remise war zu hören.
»Hol mich der Teufel«, sagte Jamie schließlich und riss den Blick von der Gestalt seiner Tante los, die jetzt allein im Haus verschwand. Er sah weniger schockiert aus als zutiefst verwirrt. »Ob das Mädchen es wohl gewusst hat?«
»Mit ziemlicher Sicherheit«, sagte ich. »Die Sklaven müssen es gewusst haben; ein paar von ihnen waren bestimmt schon hier, als sie geboren wurde; sie müssen es ihr gesagt haben, wenn sie nicht so schlau war, es selbst herauszufinden – und ich bin überzeugt, dass sie so schlau ist.«
Er nickte und lehnte sich an die Wand der Remise, während er einen nachdenklichen Blick auf die Korbtruhe mit den Bildern warf. Auch mir widerstrebte es sehr, zum Haus zurückzukehren. Die Gebäude waren von großer Schönheit, sanft golden in der Spätherbstsonne, und das Gelände war gepflegt und friedlich. Der Klang fröhlicher Stimmen kam aus dem Gemüsegarten, auf dem Paddock grasten mehrere Pferde friedlich vor sich hin, und weiter unten auf dem silbernen Fluss näherte sich ein kleines Boot, dessen Ruder die Oberfläche eilig und elegant wie ein Wasserläufer berührten.
»Wo jeder Anblick Glück bereitet und nur der Mensch voll Tücke ist«, bemerkte ich. Jamie musterte mich kurz und verständnislos und widmete sich dann wieder seinen Gedanken.
Also hätte Jocasta Phaedre um keinen Preis verkauft und ging davon aus, dass Phaedre das wusste. Ich fragte mich, warum eigentlich. Weil sie sich dem Mädchen gegenüber verpflichtet fühlte, das ein Kind ihres Mannes war? Oder als subtile Form der Rache an diesem längst verstorbenen Mann, indem sie seine uneheliche Tochter als Sklavin hielt, als Leibdienerin? Wahrscheinlich schloss sich beides nicht unbedingt gegenseitig aus – ich kannte Jocasta lange genug, um zu wissen, dass ihre Motive selten simpel waren.
Die Sonne stand tief, und die Luft wurde allmählich kühl. Ich lehnte mich neben Jamie an die Remise, spürte, wie die gespeicherte Sonnenwärme aus den Ziegeln in meinen Rücken strömte und wünschte, wir könnten in den alten Farmwagen steigen und in aller Eile nach Fraser’s Ridge fahren, um River Run und sein bitteres Erbe sich selbst zu überlassen.
Doch ich hatte den Brief in der Tasche, und er raschelte bei jeder Bewegung. »KUM HER.« Das war ein
Weitere Kostenlose Bücher