Ein Hauch von Schnee und Asche
würde.
Jocasta, die keine Närrin war, kam rapide zu denselben Schlussfolgerungen, wobei ihre Gedankengänge parallel zu den meinen verliefen.
»Ein Kind, das wäre keine große Sache«, sagte sie mit einer abwinkenden Handbewegung. »Aber wenn sie einen Geliebten hatte … aye«, sagte sie nachdenklich. »Mit einem Geliebten könnte sie davongelaufen sein. Aber warum sollte sie dann nach dir schicken?«
Jamie wurde allmählich unruhig, weil ihn so viele unbeweisbare Spekulationen ungeduldig machten.
»Vielleicht hatte sie Angst, dass du sie verkaufen würdest, wenn du es herausbekamst, Tante Jocasta?«
»Sie verkaufen ?«
Jocasta brach in Gelächter aus. Nicht ihr normales geselliges Lachen, nicht einmal der Klang aufrichtiger Belustigung; es war schockierend – laut und grob und beinahe brutal ausgelassen. Es war das Lachen ihres Bruders Dougal, und im ersten Moment gefror mir das Blut in den Adern.
Ich sah Jamie an, der mit ausdruckslosem Gesicht auf sie niedersah. Nicht verwundert; es war die Maske, die er aufsetzte, um ein starkes Gefühl zu verbergen. Dann hatte er dieses gruselige Echo also ebenfalls gehört.
Sie schien nicht aufhören zu können. Ihre Hände umklammerten die geschnitzten
Armlehnen ihres Sessels, und sie wurde immer röter, als sie sich vorbeugte, um zwischen diesen schauderhaften tiefen Lachgeräuschen nach Luft zu schnappen.
Delilah rollte sich auf den Bauch, stieß ein leises, beklommenes Wuff aus und sah sich nervös um, verwirrt, aber fest überzeugt, dass irgendetwas nicht stimmte. Samson hatte sich unter das Sofa zurückgezogen und knurrte.
Jamie streckte die Hand aus und packte sie unsanft an der Schulter.
»Hör auf, Tante Jocasta«, sagte er. »Du machst deinen Hunden Angst.«
Sie hielt abrupt inne. Es war kein Geräusch zu hören außer dem schwachen Keuchen ihres Atems, das fast genauso enervierend war wie ihr Gelächter. Sie saß kerzengerade und reglos in ihrem Sessel, die Hände auf den Armlehnen, das Blut wich ihr langsam wieder aus dem Gesicht, und ihre Augen glühten dunkel, so als seien sie auf etwas fixiert, das nur sie allein sehen konnte.
»Sie verkaufen«, murmelte sie, und ihr Mund verzog sich, als wollte das Lachen erneut aus ihr herausbrechen. Doch sie lachte nicht, sondern stand plötzlich auf. Samson japste erstaunt auf.
»Kommt mit.«
Sie war zur Tür hinaus, bevor einer von uns reagieren konnte. Jamie sah mich reichlich verdutzt an, schob mich aber vor sich durch die Tür.
Sie kannte das Haus wie ihre Westentasche; sie berührte auf dem ganzen Weg durch den Flur bis zur Tür, die zu den Stallungen führte, nur hier und dort die Wand, um die Orientierung zu behalten, und ging so schnell, als könnte sie sehen. Im Freien jedoch blieb sie stehen und tastete mit ausgestrecktem Fuß nach der Kante des gepflasterten Weges.
Jamie trat an ihre Seite und nahm sie entschlossen beim Ellbogen.
»Wohin möchtest du?«, fragte er mit einer gewissen Resignation in der Stimme.
»In die Remise.« Das seltsame Lachen war fort, aber ihr Gesicht war noch gerötet, und sie hatte ihr markantes Kinn trotzig erhoben. Wem gilt dieser Trotz?, fragte ich mich.
Die Remise war schattig und still, und Staub schwebte golden im Luftzug der geöffneten Tür. Ein Wagen, eine Kutsche, ein Schlitten und der elegante, zweirädrige Phaeton standen wie große, friedliche Tiere auf dem strohbedeckten Boden. Ich sah Jamie an, und sein Mund verzog sich schwach, als er meinen Blick erwiderte; wir hatten uns während Jocastas chaotischer Hochzeit mit Duncan vor fast vier Jahren vorübergehend in diesen Phaeton geflüchtet.
Jocasta blieb in der Tür stehen. Sie lehnte sich mit einer Hand gegen den Türrahmen und atmete tief durch, als orientiere sie sich. Allerdings machte sie keine Anstalten, die Scheune zu betreten, sondern wies stattdessen kopfnickend in die Tiefen des Gebäudes.
»An der Rückwand, an mhic mo peather . Da stehen ein paar Kisten; ich
möchte die große Korbtruhe, die dir bis zum Knie reicht und mit einem Seil zugebunden ist.«
Bei unserem ersten Ausflug in die Remise war es mir nicht aufgefallen, doch an der hinteren Wand waren diverse Schachteln, Kisten und Bündel aufgestapelt, zu zweit und dritt hintereinander. Mit dieser expliziten Anweisung brauchte Jamie nicht lange, um das gewünschte Behältnis zu finden und zog den mit Staub und Strohhalmen bedeckten Korb ans Licht.
»Soll ich es für dich ins Haus tragen, Tante Jocasta?«, fragte er und rieb sich die
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