Ein Hauch von Schnee und Asche
zuckende Nase.
Sie schüttelte den Kopf, bückte sich und tastete nach dem Knoten, mit dem das Seil verschnürt war.
»Nein, das kommt mir nicht ins Haus, das habe ich geschworen.«
»Lasst mich das tun.« Ich hinderte sie mit der Hand daran, sich noch länger an dem Knoten zu versuchen, dann übernahm ich es selbst. Wer auch immer ihn geknotet hatte, war zwar gründlich gewesen, aber nicht sehr kunstfertig; innerhalb einer Minute hatte ich ihn auf und öffnete die Schnalle.
Die Korbtruhe war voller Bilder. Bündelweise lose Zeichnungen in Bleistift, Tinte und Holzkohle, mit verblichenen Seidenbändern in verschiedenen Farben ordentlich verschnürt. Mehrere gebundene Skizzenbücher. Und eine Anzahl von Bildern; ein paar größere ungerahmte Leinwände und zwei kleinere Schachteln voller Miniaturen, alle gerahmt und aufeinander gestapelt wie ein Kartendeck.
Ich hörte Jocasta über mir seufzen und blickte auf. Sie stand still da, die Augen geschlossen, und ich konnte spüren, dass sie tief Luft holte und den Duft der Bilder einatmete – den Duft von Öl und Kohlestift, Gesso, Papier, Leinwand, Leinöl und Terpentin, ein beinahe körperliche Geist, der aus seiner Korbtruhe aufstieg, deutlich und transparent vor dem Hintergrund der Gerüche von Stroh und Staub, Holz und Korbweiden.
Ihre Finger krümmten sich, und ihr Daumen rieb sich an den Spitzen der anderen Finger und rollte unbewusst einen Pinsel hin und her. Ich hatte schon öfter gesehen, wie Brianna das tat, wenn ihr Blick auf etwas fiel, das sie gern gemalt hätte. Jocasta seufzte erneut, dann öffnete sie die Augen, kniete sich neben mich und streckte die Hand aus, um sacht mit den Fingern über diesen wahren Schatz an vergrabener Kunst zu fahren und etwas zu suchen.
»Die Ölgemälde«, sagte sie. »Holt sie heraus.«
Ich hatte die Schachteln mit den Miniaturen schon herausgeholt. Jamie hockte auf der anderen Seite der Truhe und hob die losen Zeichnungsbündel und die Skizzenbücher heraus, so dass ich die größeren Ölgemälde hervorholen konnte, die entlang der Seite der Truhe übereinander lagen.
»Ein Porträt«, sagte sie und legte den Kopf schräg, um dem flachen, hohlen Geräusch zu lauschen, mit dem ich jedes der Bilder auf die andere Seite der Truhe legte. »Ein alter Mann.«
Es war eindeutig, welches sie meinte. Zwei der großen Leinwände waren Landschaften, drei Porträts. Ich erkannte Farquard Campbell, viel jünger als heute, und ein Bild, das ein Selbstporträt Jocastas zeigte und vor etwa zwanzig Jahren entstanden war. Doch so interessant sie waren, ich hatte keine Zeit, sie zu betrachten.
Das dritte Porträt schien um einiges später entstanden zu sein als die beiden anderen und zeigte die Folgen ihres nachlassenden Augenlichts.
Die Kanten waren verschwommen, die Farben verwaschen und die Formen leicht verzerrt, so dass der ältere Herr, der uns aus dem milchigen Ölbild entgegenblickte, einen etwas verstörenden Eindruck machte, als gehörte er einer Rasse an, die nicht ganz menschlich war, trotz seiner orthodoxen weißen Perücke und der hohen weißen Halsbinde.
Er trug einen schwarzen Rock nebst Weste von altmodischem Schnitt und hatte ein Plaid in Falten über der Schulter drapiert, zusammengehalten von einer Brosche, deren Goldglanz sich im Zierknauf des Dolches wiederholte, den der alte Mann in den von Arthritis gekrümmten und geschwollenen Fingern hielt. Ich erkannte diesen Dolch.
»Das ist also Hector Cameron.« Jamie erkannte ihn ebenfalls. Er studierte das Bild fasziniert.
Jocasta streckte die Hand aus und berührte die Oberfläche der Farbe, als könnte sie sie durch ihre Berührung identifizieren.
»Aye, das ist er«, sagte sie trocken. »Du bist ihm nie lebend begegnet, oder, Neffe?«
Jamie schüttelte den Kopf.
»Einmal – aber damals war ich kaum mehr als ein Baby.« Sein Blick zeichnete die Züge des alten Mannes voll Interesse nach, als suchte er nach Hinweisen auf Hector Camerons Charakter. Diese waren nicht zu übersehen; die machtvolle Persönlichkeit des Mannes vibrierte uns förmlich von der Leinwand entgegen.
Er hatte prägnante Knochen, der Mann auf dem Porträt, obwohl die Haut, die daran hing, von der Schwäche des Alters gezeichnet war. Seine Augen waren noch scharf, obwohl das eine halb geschlossen war – möglich, dass das Lid nach einem leichten Schlaganfall einfach nur herunterhing, doch man bekam den Eindruck, dass dies seine übliche Art war, die Welt zu betrachten, ein Auge stets
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