Ein Hauch von Schnee und Asche
gelebt.«
»Schön für sie. Und der heilige Dagobert?«
»Irgendein König – der Franken? Jedenfalls hat sich sein Vormund gegen ihn gestellt, als er noch ein Kind war, und hat ihn nach England entführen lassen, damit der Sohn des Vormunds an seiner Stelle regieren konnte.«
»Woher weißt du all diese Dinge?«
»Von Bruder Polycarp in der Abtei Ste. Anne«, sagte er, und seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln. »Jedes Mal, wenn ich nicht schlafen konnte, ist er zu mir gekommen und hat mir stundenlang Heiligengeschichten erzählt. Ich bin nicht immer davon eingeschlafen, aber wenn ich mir eine Stunde oder so angehört hatte, wie heilige Märtyrer die Brüste amputiert bekamen oder mit Eisenhaken ausgepeitscht wurden, habe ich die Augen geschlossen und wenigstens so getan.«
Jamie zog mir die Haube ab und legte sie auf das Mäuerchen. Der Wind pustete durch meine drei Zentimeter langen Haare und zerzauste sie wie Wiesengras, und Jamie lächelte, als er mich ansah.
»Du siehst aus wie ein Junge, Sassenach«, sagte er. »Obwohl mich der Teufel holen soll, wenn ich je einen Jungen gesehen habe, der einen solchen Hintern hat wie du.«
»Vielen Dank«, sagte ich von einer absurden Genugtuung erfüllt. Ich hatte während des letzten Monats gegessen wie ein Pferd, des Nachts tief und erholsam geschlafen, und ich wusste, dass ich wieder viel besser aussah, trotz meiner Haare. Aber es schadete nicht, es mir anzuhören.
»Ich will dich so sehr, mo nighean donn «, flüsterte er. Er legte die Finger um mein Handgelenk und ließ sie sanft auf meinem Puls ruhen.
»Also haben die MacKenzies aus Leoch einen Hang zu blinder Eifersucht«, sagte ich. Ich konnte meinen Puls regelmäßig unter seinen Fingern spüren. »Charmante, durchtriebene Betrüger.« Ich berührte seine Lippen und zeichnete sie sanft mit dem Finger nach. Seine winzigen Bartstoppeln fühlten sich angenehm an. »Allesamt?«
Er senkte den Blick und fixierte mich plötzlich mit einem dunkelblauen Blick, in dem sich Humor und Reumut mit einer ganzen Reihe anderer Dinge vermischten, die ich nicht interpretieren konnte.
»Du meinst, ich bin anders?«, sagte er und lächelte ein wenig traurig. »Möge Gott dich segnen, Sassenach.« Und er beugte sich zu mir nieder, um mich zu küssen.
Wir konnten uns nicht länger auf River Run aufhalten. Hier unten im Vorgebirge waren die Felder abgeerntet und untergepflügt, und die Überreste getrockneter Halme sprenkelten den dunklen Boden; in den Bergen würde in wenigen Tagen der Schnee die Wege unpassierbar machen.
Noch war das Wetter zwar schön, aber die Tage waren alarmierend kurz.
Wir hatten die Angelegenheit durchdiskutiert – kamen aber zu keinem brauchbaren Schluss. Es gab nichts mehr, was wir tun konnten, um Phaedre zu helfen – außer zu beten. Darüber hinaus jedoch … galt es, an Duncan zu denken.
Denn uns war beiden der Gedanke gekommen, dass Jocasta, falls sie seine Affäre mit Phaedre entdeckt hatte, ihren Zorn nicht auf die Sklavin beschränken würde. Möglich, dass sie abwarten würde – aber sie würde die Schmach nicht vergessen. Mir war noch kein Schotte begegnet, der das tun würde .
Wir verabschiedeten uns am nächsten Tag nach dem Frühstück von Jocasta, die wir in ihrem persönlichen Salon antrafen, wo sie einen Tischläufer bestickte. Der Korb mit dem Seidengarn stand auf ihrem Schoß, die Farben sorgsam spiralförmig angeordnet, so dass sie die gewünschte Farbe ertasten konnte, und das bestickte Leinen fiel zu einer Seite, anderthalb Meter Stoff, der mit einem komplizierten Muster aus Äpfeln, Blättern und Ranken bestickt war – oder nein, so begriff ich, als ich das Ende des Läufers aufhob, um ihn zu bewundern. Keine Ranken. Schwarzäugige Schlangen, die sich gerissen zusammenrollten und grün geschuppt über den Stoff glitten. Hier und dort hatte eine von ihnen das Maul geöffnet, um ihre Fangzähne zu zeigen, ohne die verstreuten roten Früchte aus den Augen zu lassen.
»Der Garten Eden«, erklärte sie mir und rieb das Stickmuster sacht zwischen den Fingern.
»Oh, wie hübsch«, sagte ich und fragte mich, wie lange sie wohl schon daran arbeitete. Hatte sie vor Phaedres Verschwinden damit begonnen?
Wir plauderten noch ein wenig, und dann erschien Josh, der Stallknecht, um zu sagen, dass unsere Pferde bereit waren. Jamie entließ ihn mit einem Kopfnicken und stand auf.
»Tante Jocasta«, sagte er beiläufig, »es würde mich sehr bestürzen, wenn Duncan etwas
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