Ein Hauch von Schnee und Asche
habe es ihm gesagt«, berichtete sie. »Ich habe es für besser gehalten, bevor man es mir ansehen konnte. Jo und Kezzie sind mitgekommen.«
Das erklärte allerdings, warum Mr. Wemyss seine Zuflucht bei etwas Hochprozentigem gesucht hatte. Vielleicht hätten wir den Krug mit nach Hause nehmen sollen.
»Dein armer Vater«, sagte ich noch einmal, allerdings geistesabwesend. »Hattet ihr drei denn schon einen Plan?«
»Nun, nein«, gab sie zu. »Ich hatte den Jungen ja erst heute Morgen gesagt, dass ich ein Kind erwarte. Sie schienen selber etwas verblüfft zu sein«, fügte sie hinzu und biss sich auf die Lippe.
»Ach was.« Ich spähte ins Freie; es regnete zwar noch, doch der Wolkenbruch war vorüber; jetzt fiel nur noch ein feiner, weicher Regen, der die Pfützen auf dem Fußweg kräuselte. Ich rieb mir über das Gesicht und fühlte mich plötzlich sehr müde.
»Welchen wirst du wählen?«, fragte ich.
Sie warf mir einen plötzlichen, panischen Blick zu, und das Blut wich ihr aus den Wangen.
»Du kannst sie nicht beide haben, weißt du«, erklärte ich sanft. »So geht das nicht.«
»Warum?«, fragte sie um Tapferkeit bemüht – aber ihre Stimme zitterte. »Es schadet doch niemandem. Und es geht doch nur uns etwas an.«
Allmählich war mir selbst nach einem kräftigen Schuss Alkohol zumute.
»Hoho«, sagte ich. »Versuch einmal, das deinem Vater zu sagen. Oder Mr. Fraser. In einer großen Stadt kämt ihr damit womöglich durch. Aber hier? Alles, was hier geschieht, geht jedermann etwas an, und das weißt du genau. Hiram Crombie würde dich auf der Stelle als Hure steinigen, wenn er es herausfände.« Ohne eine Antwort abzuwarten, stand ich auf.
»Nun denn. Lass uns zum Haus gehen und sehen, ob die beiden noch am Leben sind. Vielleicht hat Mr. Fraser die Sache ja selbst in die Hand genommen und das Problem für dich gelöst.«
Die Zwillinge lebten noch, sahen aber nicht so aus, als wären sie besonders froh darüber. Sie saßen Schulter an Schulter in der Mitte von Jamies Studierzimmer und pressten sich aneinander, als versuchten sie, sich wieder zu einem Wesen zu vereinen.
Ihre Köpfe wandten sich unisono zur Tür, und die Alarmiertheit und Sorge in ihren Mienen vermischten sich mit der Freude über Lizzies Anblick. Ich hatte sie am Arm, doch als sie die Zwillinge sah, riss sie sich los und eilte mit einem kleinen Ausruf auf sie zu, legte jedem der Jungen einen Arm um den Hals und zog sie beide an ihre Brust.
Ich sah, dass einer der Jungen ein blaues Auge hatte, das gerade zuzuschwellen begann; das musste wohl Kezzie sein, obwohl ich nicht wusste, ob dies Jamies Vorstellung von gerechter Behandlung war oder nur eine praktische Methode sicherzugehen, dass er sie auseinander halten konnte, während er mit ihnen sprach.
Auch Mr. Wemyss lebte noch, sah aber auch nicht glücklicher darüber aus als die Beardsleys. Er hatte rote Augen und war blass und noch leicht grün um die Nase, doch immerhin saß er aufrecht und einigermaßen nüchtern
neben Jamies Tisch. Vor ihm stand eine Tasse Zichorienkaffee – ich konnte ihn riechen -, aber bis jetzt schien er nicht angerührt worden zu sein.
Lizzie kniete sich auf den Boden, ohne die Jungen loszulassen, und die drei steckten die Köpfe zusammen wie ein Kleeblatt, um sich murmelnd zu unterhalten.
»Seid ihr verletzt?«, fragte sie, und »Fehlt dir auch nichts?«, fragten die Jungen, ein Knäuel aus Händen und Armen, die sich suchend, tätschelnd, streichelnd umschlangen. Sie erinnerten mich an einen zärtlich besorgten Oktopus.
Ich sah Jamie an, der dieses Benehmen mit einem etwas säuerlichen Blick betrachtete. Mr. Wemyss stieß ein leises Stöhnen aus und verbarg den Kopf in den Händen.
Jamie räusperte sich mit einem kaum hörbaren, unendlich drohenden schottischen Laut, und die Vorgänge in der Mitte des Zimmers endeten wie von einem lähmenden Todesstrahl getroffen. Ganz langsam wandte Lizzie den Kopf, um ihn anzusehen, das Kinn hoch erhoben, die Arme schützend um die Hälse der Beardsleys gelegt.
»Setz dich, Kleine«, sagte Jamie nachsichtig und wies kopfnickend auf einen leeren Hocker.
Lizzie erhob sich und drehte sich um, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Allerdings machte sie keine Anstalten, den angebotenen Hocker zu nehmen. Stattdessen umrundete sie die Zwillinge in aller Ruhe, stellte sich zwischen sie und legte ihnen die Hände auf die Schultern.
»Ich bleibe stehen, Sir«, sagte sie. Ihre Stimme war schrill und dünn vor Angst,
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