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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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Tritt/Der Grenadiere gemessenen Schritt/Hinunter marschierend zum öden Strand/Zu den Booten, sich schaukelnd am schäumenden Rand.«
    Er hatte sie einmal im Frühling in Boston besucht. Mitte April würden die
Bäume erst einen Hauch von Grün tragen, ihre Äste immer noch mehr oder weniger kahl vor dem blassen Himmel. Die Nächte waren noch eiskalt, doch es schlummerte Leben in der Kälte, und etwas Frisches regte sich in der frostigen Luft.
    »Dann kommt eine langweilige Passage über einen Freund, der die Kirchturmtreppe hinaufsteigt, aber die nächste Strophe gefällt mir.« Sie senkte ihre ohnehin schon leise Stimme zu einem Flüstern.
    »Auf dem Kirchhof unten gebettet war
In ihrem Nachtlager der Toten Schar
In so tiefes und regloses Schweigen gehüllt
Dass er hören konnte von Schrecken erfüllt
Gleich Schildwachenschritten den Wind der Nacht,
Der leise nahte, sich schleichend sacht
Von Zelt zu Zelt zu flüstern schien:
›S’ist alles bereit.‹ Ein Weilchen nur
Des Orts und der Stunde Zauberspur
Und der Schreck, auf dem Kirchturm so allein
Inmitten der Gräber der Toten zu sein
Umwogten mit ihren Gebilden ihn.
Dann plötzlich er dachte der Schattengestalt,
Die in weiter Ferne vorüberwallt,
Wo der Strom sich verbreitert, zu grüßen das Meer,
Eine dunkle Linie, die schwankt hin und her,
Auf der steigenden Flut durchfließt sie die Nacht,
Gleichwie eine Brücke aus Booten gemacht.«
    Sie gab den dramatischen Flüsterton auf und sprach normal weiter. »Dann schlägt der alte Paul die Zeit tot, während er auf das Signal wartet«, sagte sie. »Aber schließlich erscheint es, und dann…
    Ein Hufschlag durcheilend der Dorfhäuser Reih’n
Ein Schatten, ein Umriss im Mondenschein,
Und von einem Rosse, gar mutig und schnell,
Von den Steinen fliegende Funken so schnell,
Das war alles! Und doch durch das Licht und die Nacht
Das Geschick eines Volkes wie rasend jagt,
Und der Funke, den der jagende Rosshuf sprüht
Mit Flammen das ganze Land durchglüht.«
    »Das ist doch sogar ziemlich gut.« Seine Hand legte sich auf ihren Oberschenkel, gleich über dem Knie, für den Fall, dass sie noch einmal nach ihm trat, doch das tat sie nicht. »Weißt du den Rest noch?«

    »Er folgt also dem Mystic River«, sagte Brianna, ohne ihn zu beachten, »und dann kommen die drei Strophen, in denen er die Orte durchquert:
    Zwölf Uhr die Glocke der Dorfkirche schlug,
Als die Brücke nach Medford er kreuzte im Flug;
Er hörte die Hähne im Hofe krähn,
Die Hunde bellen, und er spürte das Weh’n
Der Dünste, die stiegen vom Flusse empor,
Sobald sich der Schimmer der Sonne verlor.
     
    Eins schlug’s an der Dorfuhr, da flog er schon
Im wilden Galoppe durch Lexington,
Und geisterhaft schaute der Wetterhahn
Im Mondlichte schimmernd den Rasenden an;
Des Bethauses Fenster, so bleich und so kahl,
Sie grinsten wie Geister ihn an so fahl,
Als wollten vor Schrecken sie schier vergehn
Ob der blut’gen Tat, die sie sollten sehn.
    Zwei schlägt die Dorfuhr – und ja, ich höre die Glocke in den Anfangszeilen schlagen, sei still!« Er hatte tatsächlich Luft geholt, allerdings nicht, um Brianna zu unterbrechen, sondern nur, weil ihm plötzlich aufgefallen war, dass er den Atem angehalten hatte.
    »Zwei schlägt die Dorfuhr« , wiederholte sie,
»und schon er sich naht
Hinstürmend der Brücke von Concords Stadt.
Er hört das Blöken der Herden am Wald,
Das Gezwitscher der Vögel so lieblich erschallt,
Er fühlt den Windhauch im Morgengrau’n,
Der wehet über der Wiesen Braun.
Und einer schlief ruhig, den Gottes Gebot
An der Brücke als Ersten ersehen zum Tod,
Der fallen sollte am heutigen Tag,
Durchbohrt von der britischen Kugel Schlag.
    Das Weitere kennt ihr. « Sie verstummte abrupt und drückte ihm fest die Hand.
    Von einer Sekunde zur nächsten hatte sich das Wesen der Nacht verändert. Die Stille der frühen Morgenstunden war vergangen, und ein Windhauch fuhr draußen durch die Bäume. Ganz plötzlich war die Nacht wieder lebendig geworden, doch jetzt verging sie und raste der Dämmerung entgegen.

    Die Vögel zwitscherten zwar noch nicht, doch sie waren wach; irgendetwas rief wieder und wieder im nahen Wald, schrill und süß. Und durch die abgestandene, schwere Luft des Feuers atmete er die wilde, saubere Morgenluft und spürte, wie sein Herz plötzlich drängend schlug.
    »Erzähl es mir«, flüsterte er.
    Er sah die Schatten von Männern zwischen den Bäumen, sah sie heimlich an Türen

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