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Ein Hauch von Schnee und Asche

Ein Hauch von Schnee und Asche

Titel: Ein Hauch von Schnee und Asche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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gerichtet, ein dunkelgraues Rechteck, das gerade eben zu sehen war.
    »Gestern war der achtzehnte April«, sagte sie. »Es ist so weit.« Ihre Stimme war ruhig, doch es lag etwas darin, das ihn dichter an sie heranrücken ließ, so dass sie Seite an Seite lagen und sich von der Schulter bis zum Fuß berührten.
    Irgendwo nördlich von ihnen sammelten sich jetzt gerade die Männer in der kalten Frühlingsnacht. Achthundert britische Soldaten, die sich stöhnend und fluchend bei Kerzenschein anzogen. Diejenigen, die im Bett gewesen waren, erhoben sich zum Schlag der Trommel, die an den Häusern, Lagerhäusern und Kirchen vorbeizog, in denen sie einquartiert waren; diejenigen, die nicht im Bett gewesen waren, erhoben sich stolpernd von Würfelspiel und Zechgelage, von den warmen Kaminfeuern der Wirtshäuser, aus den warmen Armen der Frauen, suchten nach verlorenen Schuhen und ergriffen ihre Waffen, um dann zu zweit, zu dritt oder zu viert scheppernd und murmelnd durch den gefrorenen Straßenschlamm zur Musterstelle zu gehen.
    »Ich bin in Boston groß geworden«, sagte sie in leisem, scheinbar ungerührtem Ton. »Jedes Kind in Boston hat dieses Gedicht irgendwann gelernt. Ich habe es in der fünften Klasse gelernt.«
    »Passt auf meine Kinder und höret her/Vom Mitternachtsritt des Paul Revere?« Roger lächelte, als er sie sich in der Uniform der katholischen St.-Finbar-Schule vorstellte, blauer Pulli, weiße Bluse und Kniestrümpfe. Er hatte einmal ihr Klassenfoto aus dem fünften Schuljahr gesehen; sie sah aus wie ein kleiner, wütender, zerzauster Tiger, den ein Verrückter in Puppenkleidchen gesteckt hatte.
    »Genau das. Am achtzehnten Tag im April es war/Man schrieb das fünfundsiebzigste Jahr/Kaum einer noch lebt, der darum weiß, von jenem Tage so schlachtenheiß. «
    »Kaum einer noch lebt« , wiederholte Roger leise. Irgendjemand – wer? Ein Hausbesitzer, der die britischen Kommandeure belauschte, die bei ihm einquartiert waren? Eine Kellnerin, die eine Runde von Sergeanten mit heißem Rum versorgte? Geheimhaltung war unmöglich, nicht, wenn sich achthundert Männer auf dem Marsch befanden. Es war alles eine Frage der Zeit. Jemand hatte eine Nachricht aus der besetzten Stadt geschickt, die Nachricht, dass die Briten vorhatten, die in Concord gelagerten Waffen nebst Pulver an sich zu bringen und gleichzeitig Hancock und Samuel Adams zu verhaften – den Gründer des Komitees für die Sicherheit und den flammenden Redner, die Anführer »dieser verräterischen Rebellion«, von der man in Lexington höre.

    Achthundert Männer, um zwei zu verhaften? Die Chancen standen nicht schlecht. Und ein Silberschmied und seine Freunde hatten sich, alarmiert von dieser Nachricht, in die kalte Nacht aufgemacht.
    »Revere sprach zum Freund: ›Wenn der Briten Heer
Heut Nacht aus der Stadt zieht zu Land oder Meer,
So häng in der Nordkirche Glockenturm
Flugs eine Laterne als Zeichen zum Sturm.
Nur eine, sobald sie zu Lande ziehn fort,
Doch zwei, wenn sie gehn an der Schiffe Bord.
Ich harre am anderen Ufer zur Zeit
Zum Ritte und zu dem Alarmruf bereit.
Durch die Dörfer und Weiler in Middlesex Land,
Dass wach sei das Landvolk, die Waff’ in der Hand.‹«
    » Solche Gedichte schreibt heute keiner mehr«, sagte Roger. Doch trotz seiner zynischen Worte stahlen sich die Bilder in seinen Kopf; der dampfende Atem eines Pferdes, weiß in der Dunkelheit, und jenseits des schwarzen Wassers der winzige Stern einer Laterne, hoch über der schlafenden Stadt. Und dann ein zweiter.
    »Und was dann?«, sagte er.
    »Dann rief er ›Gut Nacht‹, still fuhr er gewandt
Mit umwickelten Rudern nach Charlestowns Strand,
Als der Mond emporstieg über der Bay,
Wo an ihrem Anker sich wiegend frei
Das britische Kriegsschiff, die Somerset, lag.
Ein Geisterschiff schien es, der Mondschein sich brach
An jedem Maste, an jedem Mann,
Wie Gefängnisgitter sie alle sahn.
Ein dunkler Rumpf, der noch einmal so groß
Als Spiegelbild durch die Fluten schoss.«
    »Nun, das ist doch gar nicht so schlecht«, sagte er einsichtig. »Die Stelle mit der Somerset gefällt mir. Als hätte es ein Maler beschrieben.«
    »Halt die Klappe.« Sie trat nach ihm, allerdings nur halbherzig. »Dann geht es weiter mit seinem Freund, der lauschenden Ohrs durch Gässchen und Straßen wandert -« Roger prustete, und sie trat noch einmal nach ihm. »Bis er in der Stille ringsum vernahm/Wie am Tore des Lagers zur Must’-rung man kam/Der Waffen Lärm, der Füße

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