Ein Hauch von Schnee und Asche
Tag, und er hatte das eindeutige Gefühl, dass es gefährlich war, sich in ihrer Nähe aufzuhalten.
»Diese kleine Schlampe ! Am liebsten würde ich sie am Hals packen und die Wahrheit aus ihr herauswürgen!« Ihre Hand schloss sich krampfhaft um den Hals der Sirupflasche, und er streckte den Arm aus, um sie ihr abzunehmen, bevor sie sie zerbrach.
»Das kann ich gut verstehen«, sagte er, »aber im Großen und Ganzen… lieber nicht.«
Sie funkelte ihn an, überließ ihm aber die Flasche.
»Kannst du denn nichts tun?«, sagte sie.
Das fragte er sich auch bereits, seit er von Malvas Anschuldigung erfahren hatte.
»Ich weiß es nicht«, sagte er. »Aber ich habe mir gedacht, ich gehe wenigstens zu den Christies und rede mit ihnen. Und wenn ich Malva allein erwische, spreche ich mit ihr.« Wenn er allerdings an sein letztes Zwiegespräch mit Malva Christie dachte, hatte er das unangenehme Gefühl, dass sie nicht so leicht von ihrer Geschichte abzubringen sein würde.
Brianna setzte sich, heftete den Blick finster auf ihren Teller mit Buchweizenküchlein und begann, sie mit Butter zu bekleistern. Allmählich wich ihre Wut wieder vernünftigen Gedanken; er konnte die Ideen hinter ihren Augen hin- und herflitzen sehen.
»Wenn du sie dazu bringen kannst zuzugeben, dass es nicht wahr ist«, sagte sie langsam, »ist das gut. Aber wenn nicht – ist es das Zweitbeste herauszufinden, wer mit ihr zusammen gewesen ist. Wenn irgendein Mann öffentlich zugibt, dass er der Vater sein könnte – würde das ihre Geschichte zumindest in ein zweifelhaftes Licht rücken.«
»Stimmt.« Roger träufelte sparsam Sirup über seine Küchlein. Selbst in seiner Unsicherheit und Nervosität genoss er den kräftigen, dunklen Duft und die Vorfreude auf die rare Süße. »Obwohl es garantiert genug Leute geben würde, die überzeugt wären, dass Jamie schuldig ist. Hier.«
»Ich habe einmal gesehen, wie sie Obadiah Henderson im Wald geküsst hat«, sagte Brianna und nahm die Flasche wieder entgegen. »Letzten Spätherbst.« Sie erschauerte heftig. »Wenn er es gewesen ist, ist es kein Wunder, dass sie es nicht sagen will.«
Roger warf ihr einen neugierigen Blick zu. Er kannte Obadiah, einen kräftigen, ungehobelten Kerl, der aber gar nicht schlecht aussah und kein Dummkopf war. So manche Frau würde ihn als gute Partie betrachten; er hatte fünfzehn Acres, die er ordentlich bestellte, und war ein guter Jäger. Er hatte aber noch nie gesehen, dass Brianna auch nur ein Wort mit ihm wechselte.
»Fällt dir noch irgendjemand anders ein?«, fragte sie immer noch stirnrunzelnd.
»Tja … Bobby Higgins«, erwiderte er argwöhnisch. »Die Beardsleys haben hin und wieder ein Auge auf sie geworfen, aber natürlich …« Er hatte das ungute Gefühl, dass dieser Gesprächsfaden darauf hinauslaufen würde, dass sie ihn drängte, potenziellen Vätern peinliche Fragen zu stellen – eine Vorgehensweise, die ihm ausgesprochen zwecklos und gefährlich erschien.
»Warum?«, wollte sie wissen und schnitt aufgebracht in ihren Pfannkuchenstapel. »Warum sollte sie das tun ? Mama ist immer so gut zu ihr gewesen.«
»Einer von zwei Gründen«, erwiderte er und hielt einen Moment inne, um die Augen zu schließen und die Dekadenz von geschmolzener Butter und samtweichem Ahornsirup auf frischem, heißem Buchweizen zu genießen. Er schluckte und öffnete widerstrebend die Augen.
»Entweder ist der Vater jemand, den sie nicht heiraten möchte – warum auch immer – oder sie hat beschlossen, sich an das Geld oder den Besitz deines Vaters heranzumachen, indem sie ihn dazu bringt, für sie – oder das Kind – zu zahlen.«
»Oder beides. Ich meine, sie will den Mann nicht heiraten und sie will Papas Geld – nicht, dass er welches hat.«
»Oder beides«, pflichtete er ihr bei.
Sie aßen ein paar Minuten lang schweigend weiter, und ihre Gabeln schabten über die Holzteller, während sie ihren Gedanken nachhingen. Jem hatte die Nacht im Haupthaus verbracht; nach Lizzies Hochzeit hatte Roger den Vorschlag gemacht, dass Amy McCallum Lizzies Aufgaben als Dienstmädchen übernahm, und seit sie und Aidan dort eingezogen waren, verbrachte Jem noch mehr Zeit dort und tröstete sich mit Aidans Gesellschaft über den Verlust Germains hinweg.
»Es ist nicht wahr«, wiederholte sie hartnäckig. »Pa würde das einfach nicht tun …« Doch er sah den schwachen Zweifel in ihrem Blick – und den leisen Schleier der Panik bei diesem Gedanken.
»Nein, das würde er
Weitere Kostenlose Bücher