Ein Hauch von Schnee und Asche
nicht«, sagte er mit Nachdruck. »Brianna – du kannst doch unmöglich glauben, dass daran etwas Wahres ist?«
»Nein, natürlich nicht!« Doch sie sagte es zu laut, zu entschlossen. Er legte seine Gabel hin und sah sie gleichmütig an.
»Was ist? Weißt du irgendetwas?«
»Nichts.« Sie jagte das letzte Stück Pfannkuchen rings um ihren Teller, spießte es auf und aß es.
Er machte ein skeptisches Geräusch, und sie blickte stirnrunzelnd auf die klebrige Pfütze, die auf ihrem Teller übrig geblieben war. Sie nahm sich immer zu viel Honig oder Sirup; er war sparsamer und hatte am Ende stets einen sauberen Teller.
»Nein«, sagte sie. Doch sie biss sich auf die Unterlippe und steckte die Fingerspitze in die Siruppfütze. »Es ist nur…«
»Was?«
»Nicht Pa«, sagte sie langsam. Sie steckte den Finger in den Mund und leckte den Sirup ab. »Und selbst bei Papa bin ich mir nicht sicher. Es ist nur – wenn ich auf einige Dinge zurückblicke, die ich damals nicht verstanden habe… Jetzt begreife ich -« Sie brach abrupt ab und schloss die Augen, dann öffnete sie sie wieder und sah ihn direkt an.
»Eines Tages habe ich mir seine Brieftasche angesehen. Ich wollte nicht herumschnüffeln, es hat nur Spaß gemacht, die ganzen Karten und so herauszunehmen und sie wieder zurückzustecken. Zwischen den Dollarnoten
hat eine Notiz gesteckt. Darin wollte sich jemand mit ihm zum Mittagessen verabreden -«
»Das ist doch nichts Schlimmes.«
»Der Zettel fing mit ›Liebling‹ an – und es war nicht die Handschrift meiner Mutter«, sagte sie knapp.
»Ah«, sagte er und kurz darauf: »Wie alt warst du da?«
»Elf.« Sie malte mit der Fingerspitze kleine Muster auf den Teller. »Ich habe den Zettel einfach wieder zurückgesteckt und das Ganze quasi verdrängt. Ich wollte nicht darüber nachdenken – und ich glaube, das habe ich bis heute auch nicht getan. Es gab noch ein paar andere Dinge, Dinge, die ich gesehen und nicht verstanden habe – vor allem die Art, wie meine Eltern miteinander umgegangen sind … Dann und wann ist irgendetwas passiert, und ich habe nie gewusst, was es war, aber ich wusste, dass irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.«
Sie verstummte, seufzte tief und wischte sich den Finger an ihrer Serviette ab.
»Brianna«, sagte er sanft. »Jamie ist ein Ehrenmann, und er liebt deine Mutter zutiefst.«
»Tja, siehst du, das ist genau der Punkt«, sagte sie leise. »Ich hätte geschworen, dass Papa auch einer war und sie genauso geliebt hat.«
Es war nicht unmöglich. Der Gedanke ließ ihn nicht los und nagte unangenehm an Roger wie ein Kiesel im Schuh. Jamie war ein Ehrenmann, er hing mit Leib und Seele an seiner Frau – und er hatte sich während Claires Krankheit in einem Abgrund der Verzweiflung und Erschöpfung befunden. Roger hatte fast genauso viel Angst um ihn gehabt wie um Claire; er war mit hohlem Blick und grimmiger Miene durch die heißen, endlosen Tage voll Gestank und Tod gewandelt, ohne zu essen, ohne zu schlafen, und nur seine Willenskraft hatte ihn vor dem Zusammenbruch bewahrt.
Roger hatte damals versucht, ihn anzusprechen, auf Gott, auf die Ewigkeit, hatte versucht, ihn mit dem zu versöhnen, was unausweichlich schien, war aber mit wild blickender Wut über den bloßen Gedanken, dass Gott vorhaben könnte, ihm seine Frau zu nehmen, zurückgewiesen worden – gefolgt von völliger Verzweiflung, als Claire dem Tode nah ins Koma gefallen war. Es war nicht unmöglich, dass das Angebot eines Moments der körperlichen Linderung in dieser trostlosen Leere weiter gegangen war, als die Beteiligten es beabsichtigt hatten.
Doch es war jetzt Anfang Mai, und Malva Christie war im sechsten Monat schwanger. Was bedeutete, dass es im November dazu gekommen sein musste. Die Krise von Claires Krankheit war Ende September gewesen; er erinnerte sich lebhaft an den Geruch der Äpfel im Zimmer, als sie vom scheinbar sicheren Tod erwachte. Ihre Augen waren weit aufgerissen und
glühend gewesen, verblüffend schön in einem Gesicht, das an einen androgynen Engel erinnerte.
Nun gut, zum Kuckuck, es war unmöglich. Niemand war vollkommen, und jeder Mann konnte unter extremen Bedingungen weich werden – einmal. Aber nicht wiederholt. Und nicht Jamie Fraser. Malva Christie war eine Lügnerin.
Roger, der am Bachufer entlang auf die Hütte der Christies zuhielt, war sich seiner Sache jetzt schon sicherer.
Kannst du denn nichts tun? , hatte Brianna ihn gequält gefragt. Verdammt wenig, dachte er,
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