Ein Hauch von Schnee und Asche
Er fuhr plötzlich zu Malva herum, die aufgehört hatte zu weinen, aber kreidebleich und erstarrt auf ihrem Baumstumpf saß. »Vielleicht war er es auch? Ist es so, du kleine Schlampe, hast du sie beide gehabt? Antworte mir!« Seine Hand holte aus, um sie zu ohrfeigen, und Roger fing ihn automatisch am Handgelenk ab.
Roger war so wütend, dass er kaum sprechen konnte. Christie war kräftig, aber er war größer; er hätte dem jungen Mann das Handgelenk gebrochen, wenn er gekonnt hätte. So jedoch bohrte er seine Finger fest in den Zwischenraum zwischen den Knochen und war zufrieden, als er sah, dass Christies Augen vor Schmerz hervortraten und tränten.
»Ihr werdet nicht so mit Eurer Schwester sprechen«, sagte er, nicht laut, aber sehr deutlich. »Und mit mir genauso wenig.« Er griff plötzlich um und beugte Christies Handgelenk scharf nach hinten. »Verstanden?«
Allans Gesicht wurde weiß, und er atmete zischend aus. Er antwortete nicht, brachte aber ein Kopfnicken zuwege. Roger ließ ihn los und schleuderte das Handgelenk des jungen Mannes geradezu von sich, so angewidert fühlte er sich auf einmal.
»Ich möchte nicht hören, dass Ihr Eure Schwester irgendwie misshandelt habt«, sagte er, so gleichmütig er konnte. »Falls ich es höre – werdet Ihr es bedauern. Guten Tag, Mr. Christie. Miss Christie«, fügte er mit einer knappen Verbeugung vor Malva hinzu. Sie antwortete nicht, sondern starrte ihn nur an, die Augen, grau wie Sturmwolken, vor Schreck weit aufgerissen. Die Erinnerung an diese Augen verfolgte ihn, als er von der Lichtung schritt und in die Dunkelheit des Waldes eindrang. Dabei fragte er sich, ob er die Lage verbessert hatte oder ob sie jetzt viel, viel schlimmer war.
Die nächste Zusammenkunft der Loge von Fraser’s Ridge war am Mittwoch. Wie üblich ging Brianna mit Jemmy und ihrem Handarbeitskorb ins Haus ihrer Eltern, und es überraschte sie, Bobby Higgins am Tisch anzutreffen, wo er gerade sein Abendessen beendete.
»Miss Brianna!« Er erhob sich halb bei ihrem Anblick und strahlte, doch sie winkte ab und glitt auf die Bank, die ihm gegenüber stand.
»Bobby! Wie schön, Euch wieder zu sehen! Wir dachten – nun, wir haben gedacht, Ihr würdet nicht mehr kommen.«
Er nickte mit reumütiger Miene.
»Aye, das ist auch möglich, zumindest für eine Weile. Aber Seine Lordschaft hat ein paar Dinge erhalten, Dinge aus England, und er hat gesagt, ich soll sie herbringen.« Er fuhr sorgfältig mit einem Stück Brot durch seine Schüssel und wischte die letzten Reste von Mrs. Bugs Hühnerfrikassee auf.
»Und dann… nun ja, ich wollte auch selbst kommen. Um Miss Christie zu sehen, aye?«
»Oh.« Sie sah hoch und fing einen Blick von Mrs. Bug auf. Die ältere Frau verdrehte hilflos die Augen und schüttelte den Kopf. »Ähm. Ja, Malva. Äh … ist meine Mutter oben, Mrs. Bug?«
»Nein, a nighean . Sie wurde zu Mr. MacNeill gerufen; er hat eine böse Rippenfellentzündung.« Ohne Luft zu holen, zog sie ihre Schürze aus und hängte sie an ihren Haken, während sie mit der anderen Hand nach ihrem Umhang griff. »Ich gehe dann, a leannan , Arch wartet sicher schon auf sein Abendessen. Falls Ihr etwas braucht, ist Amy ja da.« Und mit dieser kurzen Verabschiedung verschwand sie. Bobby starrte ihr nach, verwundert über dieses untypische Verhalten.
»Stimmt etwas nicht?«, fragte er und wandte sich mit einem kleinen Stirnrunzeln wieder Brianna zu.
»Ähh … nun ja.« Mit einigen unfreundlichen Gedanken in Mrs. Bugs Richtung holte Brianna tief Luft und erzählte es ihm. Der Anblick seines lieben Jungengesichts, das im Feuerschein kreidebleich und starr wurde, ließ sie innerlich zusammenzucken.
Sie brachte es nicht über sich, Malvas Anschuldigungen zu erwähnen und sagte ihm nur, dass das Mädchen schwanger war, aber nicht bereit war, den Vater preiszugeben. Er würde die Sache mit Jamie bald genug erfahren, aber bitte, Gott, nicht von ihr.
»Ich verstehe, Miss. Aye … ich verstehe.« Er blieb noch einen Moment sitzen und starrte auf das Stück Brot in seiner Hand. Dann warf er es in die Schüssel, erhob sich ruckartig und rauschte nach draußen; sie hörte, wie er sich in die Blaubeerbüsche an der Hintertür übergab. Er kam nicht wieder.
Es wurde ein langer Abend. Ihre Mutter verbrachte die Nacht eindeutig bei Mr. MacNeill und seiner Rippenfellentzündung. Amy McCallum kam für eine Weile herunter, und sie unterhielten sich stockend beim Nähen, doch dann entfloh das Hausmädchen
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