Ein Hauch von Schnee und Asche
losgehen zu wollen, hüpfte aber vom Bett, und ihre nackten Füße bewegten sich gedämpft über etwas, das ich jetzt als verklebte Schicht aus verschimmeltem Stroh erkannte.
»Nun, dann ruft doch die alte Schachtel und lasst uns etwas Holländisches kommen, ja?«, schlug sie fröhlich vor.
»Die… wen?«
Statt zu antworten, wogte sie zur Tür, hämmerte dagegen und rief: »Mrs. Tolliver! Mrs. Tolliver!«
Die Tür öffnete sich beinahe umgehend und gab eine hoch gewachsene, dünne Frau preis, die wie ein verärgerter Storch aussah.
»Also wirklich, Mrs. Ferguson«, sagte sie. »Ihr seid ein schrecklicher Quälgeist. Ich war sowieso gerade unterwegs, um mich Mrs. Fraser vorzustellen.« Sie wandte Mrs. Ferguson mit gebieterischer Würde den Rücken zu und neigte ihren Kopf knappe zwei Zentimeter in meine Richtung.
»Mrs. Fraser. Ich bin Mrs. Tolliver.«
Mir blieb nur der Bruchteil einer Sekunde Zeit, um zu entscheiden, wie ich reagieren sollte, und ich schlug – wenn es mir auch gegen die Hutschnur ging – den klugen Kurs vornehmer Unterwürfigkeit ein und verbeugte mich vor ihr, als sei sie die Gouverneursgattin.
»Mrs. Tolliver«, murmelte ich und wich achtsam ihrem Blick aus. »Wie gütig von Euch.«
Sie zuckte scharfsichtig wie ein Vogel, der einen verborgen durchs Gras kriechenden Wurm beobachtet – doch ich hatte meine Gesichtszüge jetzt fest im Griff, und da sie keinen Sarkasmus entdeckte, entspannte sie sich.
»Gerne«, sagte sie mit unterkühlter Höflichkeit. »Ich bin hier, um für Euer Wohlergehen zu sorgen und Euch mit unseren Sitten vertraut zu machen. Ihr erhaltet täglich eine Mahlzeit, es sei denn, Ihr möchtet noch mehr aus dem Wirtshaus holen lassen – auf Eure Kosten. Ich werde Euch einmal am Tag eine Schüssel zum Waschen bringen. Ihr entleert Euren Nachttopf selbst. Und -«
»Oh, steck dir deine Sitten sonstwo hin, Maisie«, sagte Mrs. Ferguson, die Mrs. Tollivers Standpauke mit der Selbstverständlichkeit einer langen Bekanntschaft unterbrach. »Sie hat Geld. Sei ein braves Mädchen, hol uns eine Flasche Genever, und wenn es sein muss, kannst du ihr dann ja erzählen, wo’s langgeht.«
Mrs. Tollivers schmales Gesicht verzog sich missbilligend, doch ihre Augen zuckten in meine Richtung und leuchteten im gedämpften Licht des Binsenlämpchens auf. Ich vollführte eine zögerliche Geste in Richtung meiner
Tasche, und sie zog die Unterlippe ein. Sie lugte hinter sich, dann trat sie rasch einen Schritt auf mich zu.
»Also dann, einen Shilling«, flüsterte sie und hielt die Hand auf. Ich ließ ihr die Münze in die Hand fallen, und sie verschwand blitzartig unter ihrer Schürze.
»Ihr habt das Abendessen versäumt«, verkündete sie in ihrem normalen, missbilligenden Tonfall und trat wieder zurück. »Da Ihr aber gerade erst angekommen seid, werde ich eine Ausnahme machen und Euch etwas bringen.«
»Wie gütig von Euch«, wiederholte ich.
Die Tür schloss sich fest hinter ihr und schnitt uns von Licht und Luft ab, und der Schlüssel drehte sich im Schloss.
Dieses Geräusch setzte einen kleinen Panikfunken frei, den ich entschlossen zertrat. Ich fühlte mich wie eine ausgetrocknete Haut, bis zu den Ohren mit dem Zunder der Angst, der Unsicherheit und des Verlustes gefüllt. Ein einziger Funke würde reichen, dies in Brand zu stecken und mich zu Asche zu verbrennen – und weder Jamie noch ich konnten das riskieren.
»Sie trinkt?«, fragte ich und wandte mich mit vorgetäuschter Kühle wieder an meine neue Gefährtin.
»Kenn Ihr irgendjemanden, der das nicht tut, wenn er kann?«, fragte Mrs. Ferguson in aller Logik. Sie kratzte sich die Rippen. »Fraser, hat sie gesagt. Ihr seid nicht die -«
»Doch«, sagte ich ziemlich rüde. »Ich möchte nicht darüber reden.«
Ihre Augenbrauen fuhren hoch, doch sie nickte gleichmütig.
»Ganz wie Ihr wollt«, sagte sie. »Könnt Ihr Karten spielen?«
»Loo oder Whist?«, fragte ich argwöhnisch.
»Kennt Ihr ein Spiel namens Brag?«
»Nein.« Jamie und Brianna spielten es dann und wann, aber ich hatte mich nie mit den Regeln vertraut gemacht.
»Das macht nichts; ich bringe es Euch bei.« Sie langte unter die Matratze und zog ein ziemlich schlaffes Deck von Pappkarten hervor, die sie gekonnt auffächerte. Sie wedelte sanft damit unter ihrer Nase und lächelte mich an.
»Lasst mich raten«, sagte ich. »Ihr seid hier, weil Ihr beim Kartenspiel betrogen habt?«
»Ich? Aber nicht doch«, sagte sie, machte aber keinen beleidigten
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