Ein Hauch von Schnee und Asche
statt; ich habe beim Melken den Appell gehört – es müssen fast fünfhundert Mann sein. Als ich das gesehen habe, Sir, habe ich mich zum Ufer gestohlen und mir ein Boot gesucht. Dachte, Ihr solltet es wissen, Eure Exzellenz.« Die Erregung war jetzt aus der Stimme des Mannes verschwunden, und er klang ziemlich selbstgerecht.
»Ach ja? Und was erwartet Ihr, das ich dagegen tue?« Der Gouverneur wirkte ausgesprochen gereizt.
»Woher soll ich das wissen?«, erwiderte der Bote in ähnlichem Ton. »Ich bin doch nicht der Gouverneur, oder?«
Die Antwort des Gouverneurs ging im Schlagen der Schiffsglocke unter. Als diese verstummte, schritt er an der Treppe vorbei und sah mich unten stehen.
»Oh, Mrs. Fraser. Würdet Ihr mir etwas Tee aus der Kombüse holen?«
Mir blieb kaum etwas anderes übrig, auch wenn ich lieber stehen geblieben wäre und gelauscht hätte. Das Feuer in der Kombüse war für die Nacht in einem kleinen Eisentopf mit Asche belegt, und der Koch war noch im Bett. Bis ich das Feuer geschürt und Wasser gekocht hatte, um eine Kanne Tee aufzubrühen und ein Tablett mit Teekanne, Tasse, Untertasse, Milch sowie Toast, Butter, Plätzchen und Marmelade zusammenzustellen, war der Informant des Gouverneurs verschwunden; ich sah, wie sein Boot auf das Ufer zuhielt und sich wie eine dunkle Pfeilspitze vor der sich langsam erhellenden Meeresoberfläche abzeichnete.
Ich blieb einen Moment an Deck stehen und stützte mein Tablett auf die Reling, um landeinwärts zu spähen. Es war gerade eben hell geworden, und man konnte Fort Johnston erkennen; ein klobiges Holzgebäude, das exponiert auf seiner flachen Erhebung stand, umringt von einer Ansammlung von Häusern und Nebengebäuden. Ringsum war schon einiges los; Männer kamen und gingen wie eine Ameisenkolonne. Nichts jedoch, was danach aussah, als drohte eine unmittelbare Invasion. Entweder hatte der Befehlshaber, Hauptmann Collet, beschlossen zu evakuieren – oder Ashes Männer hatten mit dem Anmarsch aus Brunswick noch nicht begonnen.
Hatte John Ashe meine Nachricht erhalten? Wenn ja, wie mochte er gehandelt haben? Es wäre keine sehr populäre Maßnahme; ich konnte ihm keine Vorwürfe machen, wenn er beschlossen hatte, dass er es sich nicht erlauben konnte, öffentlich einem Mann zu helfen, der im Verdacht stand, Loyalist zu sein – ganz zu schweigen davon, dass er eines solch grauenvollen Verbrechens angeklagt war.
Möglich war es trotzdem. Da der Gouverneur auf See festsaß, der Rat aufgelöst war und das Gerichtssystem quasi verdunstet war, gab es in der Kolonie kein wirksames Gesetz mehr – außer den Milizen. Falls sich Ashe dafür entschied, das Gefängnis von Wilmington zu stürmen und Jamie zu befreien, konnte er mit herzlich wenig Gegenwehr rechnen.
Und wenn er es getan hatte… Wenn Jamie frei war, würde er mich suchen. Und er würde mit Sicherheit schnell hören, wo ich war. Wenn John Ashe nach Brunswick kam und Jamie frei war, würde er sich Ashes Männern anschließen. Ich suchte das Ufer nach Bewegungen ab, aber ich sah nur einen Jungen, der gelangweilt eine Kuh über die Straße nach Brunswick trieb. Doch die Schatten der Nacht lagen noch kalt zu meinen Füßen; der Morgen hatte kaum gedämmert.
Ich holte tief Luft und bemerkte den aromatischen Duft des Tees, der sich mit dem Morgenhauch des Ufers vermischte – dem Geruch des Watts und der Krüppelkiefern. Ich hatte seit einer Ewigkeit keinen Tee mehr getrunken. Ich schenkte mir vorsichtig eine Tasse ein und nippte sie langsam, während ich das Ufer beobachtete.
Als ich in der Kajüte des Schiffsarztes ankam, die der Gouverneur als Büro benutzte, war er angekleidet und allein.
»Mrs. Fraser.« Er nickte mir kurz zu, blickte dabei aber kaum auf. »Ich danke Euch. Würdet Ihr bitte etwas schreiben?«
Er hatte selbst schon geschrieben; Federkiele, Sand und Löscher waren auf dem Tisch verstreut, und das Tintenfass stand offen. Ich suchte mir einen brauchbaren Federkiel und ein Stück Papier und begann niederzuschreiben, was er mir diktierte – mit wachsender Neugier.
Der Brief – diktiert, während er seinen Toast aß – war an einen gewissen General Hugh MacDonald gerichtet und nahm Bezug auf die sichere Landung des Generals in Begleitung eines gewissen Oberst McLeod. Der Empfang des Berichtes des Generals wurde bestätigt, und es wurde um weitere Information gebeten. Zudem wurde die Bitte des Gouverneurs um Unterstützung erwähnt – von der ich wusste -, und er sprach von
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