Ein Hauch von Schnee und Asche
Versprechungen, die man ihm diesbezüglich gemacht hatte und von denen ich nichts wusste.
»Beigefügt, ein Kreditbrief – nein, wartet.« Der Gouverneur warf einen Blick in Richtung des Ufers – zweckloserweise, da die Kajüte kein Bullauge hatte – und verzog konzentriert das Gesicht. Offenbar war ihm der Gedanke gekommen, dass im Licht der jüngsten Ereignisse ein Kreditbrief aus dem Büro des Gouverneurs wahrscheinlich weniger wert war als eine von Mrs. Fergusons gefälschten Urkunden.
»Beigefügt, zwanzig Shilling«, korrigierte er seufzend. »Wenn Ihr die Kopie sofort anfertigen würdet, Mrs. Fraser? Diese hier könnt Ihr dann schreiben, wie Ihr Zeit habt.« Er schob mir einen ungeordneten Stapel von Notizen in seiner eigenen Krakelschrift herüber.
Dann stand er auf, reckte sich stöhnend und ging nach oben, zweifellos, um weiter über die Reling zum Fort zu starren.
Ich fertigte die Kopie an, löschte sie und legte sie beiseite. Dabei fragte ich mich, wer in aller Welt dieser MacDonald war und was er tat. Falls Major MacDonald nicht unlängst einen Vornamenswechsel und eine außerordentliche Beförderung durchlebt hatte, konnte es der mir bekannte nicht sein. Der Ton der Bemerkungen des Gouverneurs ließ darauf schließen, dass General MacDonald und sein Freund McLeod allein reisten – und sich auf einer bestimmten Mission befanden.
Ich blätterte rasch den Stapel der wartenden Briefe durch, entdeckte aber sonst nichts mehr, das mich interessierte; nur die üblichen Belanglosigkeiten des Verwaltungsalltags. Der Gouverneur hatte sein Schreibpult auf dem Tisch stehen gelassen, doch es war verschlossen. Ich überlegte, ob ich versuchen sollte, das Schloss zu öffnen und seine Privatkorrespondenz zu durchsuchen, doch es waren zu viele Leute in der Nähe; Seeleute, Soldaten, Schiffsjungen, Besucher – überall wimmelte es vor Menschen.
Gleichzeitig herrschte eine nervöse Anspannung an Bord. Mir war schon
öfter aufgefallen, wie sich ein Gefühl drohender Gefahr unter Menschen ausbreitet, die sich in einer geschlossenen Umgebung befinden: in der Notaufnahme eines Krankenhauses oder im OP, im Zug oder auf einem Schiff; die Nervosität sprang wortlos von einer Person zur nächsten über wie ein Impuls vom Axon eines Nervs zu den Dendriten des nächsten. Ich hatte keine Ahnung, ob außer mir und dem Gouverneur schon irgendjemand von John Ashes Truppenbewegungen wusste – aber die Cruizer wusste, dass etwas im Busch war.
Das Gefühl nervöser Erwartung ließ auch mich nicht unberührt. Ich konnte nicht still halten, klopfte geistesabwesend mit dem Zeh auf den Boden und fuhr unruhig mit den Fingern am Schaft des Federkiels auf und ab, weil ich mich nicht genügend konzentrieren konnte, um damit zu schreiben.
Ich stand auf, obwohl ich keine Ahnung hatte, was ich vorhatte; ich wusste nur, dass ich vor Ungeduld ersticken würde, wenn ich noch länger unter Deck blieb.
Auf dem Regal neben der Tür stand das übliche Durcheinander von Gegenständen des täglichen Lebens, durch ein Geländer vor dem Herunterfallen geschützt: ein Kerzenständer, zusätzliche Kerzen, eine Zunderbüchse, eine zerbrochene Pfeife, eine Flasche, die mit Flachs verstopft war, ein Stück Holz, das jemand zu schnitzen versucht und es damit ruiniert hatte. Und eine Holzkiste.
Die Cruizer hatte keinen Schiffsarzt an Bord. Und ein Arzt nahm seine persönliche Ausrüstung normalerweise mit, es sei denn, er starb. Dies musste ein Arztkoffer sein, der zum Schiff gehörte.
Ich lugte zur Tür hinaus; es waren Stimmen in der Nähe, aber niemand war zu sehen. Ich klappte die Kiste hastig auf und rümpfte die Nase, weil der Geruch von getrocknetem Blut und altem Tabak daraus aufstieg. Es war nicht viel in der Kiste, und das Wenige war achtlos hineingeworfen worden, verrostet, verkrustet und kaum von Nutzen. Eine Dose blauer Pillen mit entsprechender Aufschrift und eine Flasche – ohne Aufschrift, aber eindeutig Schwarztinktur, also Laudanum. Ein vertrockneter Schwamm und ein klebriges Tuch, das mit etwas Gelbem befleckt war. Und das Einzige, was sich mit Gewissheit in jedem Arztkoffer dieser Zeit fand – Messer.
Es kamen Schritte die Treppe herunter, und ich hörte den Gouverneur, der sich mit jemandem unterhielt. Ohne über die Klugheit dieses Verhaltens nachzudenken, ergriff ich ein kleines Ritzmesser und schob es mir vorn in das Korsett.
Ich klappte den Deckel der Kiste zu. Mir blieb allerdings keine Zeit mehr, mich wieder hinzusetzen,
Weitere Kostenlose Bücher