Ein Hauch von Schnee und Asche
Kaffee rührte und seine Augen stirnrunzelnd auf das Blatt gerichtet hatte, das er in der anderen hielt, mit einem wachsamen Blick und nickte mir kaum merklich zu.
»Auf wie viele davon könnt Ihr mit Sicherheit zählen?«, sagte der Gouverneur, als ich jetzt einen Hofknicks machte und das Zimmer verließ.
»Oh, jetzt schon mindestens fünfhundert Mann«, erwiderte MacDonald zuversichtlich. »Und es werden noch viel mehr kommen, wenn es sich herumspricht. Ihr solltet die Begeisterung sehen, mit der der General bis jetzt empfangen worden ist! Ich kann natürlich nicht für die Deutschen sprechen, doch verlasst Euch darauf, Sir, wir werden alle Highlander im Hinterland mobilisieren und nicht wenige der Schottland-Iren dazu.«
»Ich hoffe weiß Gott, dass Ihr Recht habt«, sagte der Gouverneur immer noch skeptisch, wenn auch in hoffnungsvollem Ton. »Wo ist der General jetzt?«
Die Antwort darauf hätte ich gern gehört – und vieles andere auch -, doch oben schlug die Trommel zum Essen, und donnernde Füße rumpelten bereits über Deckplanken und Treppen. Ich konnte nicht in Sichtweite der Messe stehen bleiben und lauschen, daher sah ich mich gezwungen, wieder an Deck zu gehen und zu hoffen, dass MacDonald mich wirklich verstanden hatte.
Der Kapitän der Cruizer stand an der Reling, neben ihm sein Erster Maat, und beide suchten das Ufer mit ihren Teleskopen ab.
»Geht dort etwas vor sich?« Ich konnte erkennen, dass in der Nähe des Forts zwar ein reges Kommen und Gehen herrschte – doch die Uferstraße war nach wie vor leer.
»Das kann ich nicht sagen, Ma’am.« Kapitän Follard schüttelte den Kopf, dann ließ er das Teleskop sinken und schob es widerstrebend zusammen, so als hätte er Angst, dass etwas Wichtiges passieren könnte, wenn er den Blick nicht auf das Ufer gerichtet hielt. Der Maat bewegte sich nicht, sondern starrte unverwandt weiter zum Fort auf seinem Felsvorsprung.
Ich blieb an seiner Seite stehen und sah schweigend zum Ufer. Die Gezeiten wendeten sich; ich war schon lange genug auf dem Schiff, um es zu merken, ein kaum spürbares Innehalten, als holte die See tief Luft, während die Anziehung des unsichtbaren Mondes nachließ.
Der Strom der menschlichen Geschäfte wechselt; nimmt man die Flut wahr, führet sie zum Glück … Gewiss hatte auch Shakespeare mindestens einmal auf einem solchen Deck gestanden und dieselbe Verschiebung hautnah gespürt. Ein Professor hatte mir während meiner medizinischen Ausbildung einmal erzählt, dass die polynesischen Seefahrer ihre weiten Reisen durch grenzenlose Meere wagten, weil sie es gelernt hatten, die Meeresströmungen und Gezeitenwechsel zu fühlen und diese Veränderungen mit jenem empfindlichsten aller Instrumente zu registrieren – ihren Hoden.
Man brauchte kein Skrotum, um die Strömungen zu spüren, die uns jetzt umwirbelten, dachte ich mit einem Seitenblick auf die ordentlich sitzende weiße Kniehose des Ersten Maats. Ich konnte sie in der Magengrube spüren und in meinen feuchten Handflächen, in der Verspannung meiner Nackenmuskeln. Der Maat hatte jetzt sein Teleskop gesenkt, doch er blickte immer noch beinahe geistesabwesend zum Ufer und ließ seine Hände auf der Reling ruhen.
Plötzlich kam mir der Gedanke, dass die Cruizer , falls sich an Land etwas Drastisches ereignete, auf der Stelle die Segel setzen und aufs offene Meer zuhalten würde, um den Gouverneur in Sicherheit zu bringen – und mich weiter fort von Jamie. Wo in aller Welt mochten wir landen? Charlestown? Boston? Beides war möglich. Und niemand an diesem brodelnden Ufer würde die geringste Ahnung haben, wo wir abgeblieben waren.
Ich war während des Krieges – meines Krieges – vielen Heimatlosen begegnet. Aus ihren Häusern vertrieben oder entführt, nachdem ihre Familien zerstreut und ihre Städte zerstört worden waren, bevölkerten sie die Flüchtlingslager, belagerten sie die Botschaften und Hilfsstationen, stets mit der Frage nach den Verschwundenen auf den Lippen, der Beschreibung der geliebten Vermissten, und klammerten sich an jeden Informationsfetzen, der sie vielleicht zu dem zurückbringen konnte, was geblieben war. Oder vielleicht
noch für einen Moment das bewahren konnte, was sie einmal gewesen waren.
Der Tag war warm, selbst auf dem Wasser, und meine Kleider klebten mir in der feuchten Luft am Körper, doch meine Muskeln verkrampften sich und meine Hände an der Reling zitterten unvermittelt vor Kälte.
Es war möglich, dass ich sie alle zum
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