Ein Hauch von Seide - Roman
»Es gibt ein Problem mit den Vorhängen. Sie müssen noch mal hin und sich entschuldigen. Mrs Russell hat darauf bestanden.«
»Aber sie hat doch gesagt, sie fände sie ganz wunderbar«, widersprach Rose.
»Es ist mir egal, was sie gesagt hat. Jetzt sagt sie, sie wären nicht richtig, also gehen Sie hin und bringen die Sache in Ordnung. Russell droht, die Rechnung zu kürzen, wenn er keinen anständigen Service erhält, und wenn er das tut, werde ich es Ihnen vom Lohn abziehen.«
Obwohl die Auftragsbücher des Ladens immer voll waren, schien sich Ivor ständig Sorgen ums Geld zu machen. Rose hatte das Gerücht gehört, es gebe oft Ärger mit den Zulieferern wegen ausstehender Rechnungen, und jemand hatte ihr erzählt, er sei ein leidenschaftlicher Spieler, der um hohe Einsätze spielte.
Das Letzte, wonach Rose der Sinn stand, war, noch einmal zu den Russells zu gehen. Sie war mit Josh verabredet, denn sie wollten am Abend ausgehen, doch sie konnte Ivor unmöglich widersprechen. Nicht, wenn er in so einer Stimmung war. Er erinnerte sie sehr an den Geizhals Scrooge aus Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte.
Da Heiligabend war, konnte sie nirgends ein Taxi auftreiben. Die Straßen waren voller Menschen, die nach Hause eilten, und Rose brauchte fast zwanzig Minuten zu der Wohnung der Russells. Sie zog sich den Mantel eng um den Körper, um die frostige Kälte des Abends zu vertreiben.
Die Wohnung der Russells nahm das Erdgeschoss und den ersten Stock des Hauses ein. Der Portier erkannte Rose, als sie die prächtige Halle betrat.
Sie läutete und war erleichtert, als die Tür gleich geöffnet wurde. Sie wollte das hier nur rasch hinter sich bringen und sich dann auf den Weg machen. Doch sie verstand nicht, wofür sie sich bei Mrs Russell entschuldigen sollte, hatte diese doch noch vor kaum einer Stunde gesagt, wie entzückt sie sei.
Rose betrat die Wohnung, und da sie nicht abwarten wollte, bis Mrs Russell ihre Beschwerde vorbrachte, setzte sie schnell an: »Mrs Russell …«
»Meine Frau ist leider nicht hier.«
Die Tür schlug zu, und das Schloss klickte, als Mr Russell den Schlüssel drehte und Rose mit einem spöttischen Blick bedachte.
»Was bist du doch für eine brave Angestellte, oder musste der liebe Ivor darauf pochen, dass du noch einmal herkommst? Ich gestehe, ich habe ihm ganz schön zugesetzt, aber du, meine liebe Rose, hast mir ja auch ganz schön zugesetzt, und das war sehr ungezogen von dir. Ich mag es nicht, wenn man mich an der Nase herumführt. Das gefällt keinem Mann, und du hast mich eindeutig an der Nase herumgeführt.«
Rose war wie erstarrt vor Angst. Sie wollte sich rühren, doch irgendwie konnte sie nicht. Sie hatte zu viel Angst. Arthur Russell hatte ihr eine Falle gestellt, und sie war hineingetappt.
»Ivor hat gesagt, es gebe ein Problem mit den neuen Vorhängen«, krächzte sie mutig. »Wenn Sie mir kurz zeigen könnten, wo das Problem liegt …«
»Oh, das zeige ich dir gleich, mein kleines Häschen, und noch viel mehr, und bald wird es kein Problem mehr geben, denn du wirst dich darum kümmern. Wie viele Männer hattest du schon? Hab keine Angst, es mir zu sagen, es stört mich nicht, das verspreche ich dir.«
Er streckte die Hände nach ihr aus, und sein heißer, nach Alkohol stinkender Atem strömte zwischen seinen geschwätzigen, feuchten Lippen hervor.
Rose bekam Panik, zuckte vor ihm zurück und wollte ihm ausweichen, doch er lachte sie nur aus, packte ihre Handgelenke und verdrehte sie ihr hinter dem Rücken.
»O ja, machen wir es ein bisschen aufregender, mein Liebchen.« Er packte ihre Handgelenke fester, doch in ihrer Angst drehte und wand Rose sich panisch, um freizukommen.
»Bietest mir wohl die Stirn, was? Na, dafür musst du bestraft werden.«
Mit der flachen Hand schlug er Rose mit solcher Wucht ins Gesicht, dass ihr Kopf zur Seite gerissen wurde, was ihren Schock und ihren Schmerz noch verschlimmerte. Dann drückte Arthur Russell sie gegen die Wand.
Rose hatte noch nie in ihrem ganzen Leben körperliche Gewalt erlebt; sogar Nanny, die sie nicht gemocht hatte, hatte Emerald streng verboten, sie an den Haaren zu ziehen. Amber und Jay hielten nichts davon, ihre Kinder mit Schlägen zu züchtigen, und der Schock darüber, was gerade geschah, tat seelisch fast genauso weh wie körperlich. Sie war benommen, und ihr war übel, und Unglaube und Angst trieben ihr die Tränen in die Augen. Sie hatte schon vermutet, dass Arthur Russell zu denen gehörte, die
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