Ein Hauch von Seide - Roman
ihm sagen; die Worte kreischten in ihrem Kopf auf wie ein Kleinkind, das einen Wutanfall hat. Ich will dein sein, auf jede denkbare Weise. Unfair ist, dass du Patsy heiratest und das tust, wozu sie dich überredet hat.
»Patsy will, dass wir ganz neu anfangen und dass ich einen Salon in New York eröffne.«
Das war es also. Das Ende.
»Du meinst wohl, Vidals Beispiel folgen.«
Und wenn sie gemein war und ihn kränkte, na und? Doch statt beleidigt zu sein, nickte er nur eifrig.
»Er hat großen Erfolg drüben, und Patsy meint, es gebe keinen Grund, warum ich nicht auch Erfolg haben sollte. Sie hat einige Kontakte in New York und natürlich ihre Familie. Du musst rüberkommen und uns besuchen, sobald wir uns eingerichtet haben. Und keine Ausreden – schließlich ist Ella auch drüben.«
Gehorsam griff Rose auf, was er damit vermutlich andeuten wollte. »Soll ich ihr schreiben, was du vorhast? Sie ist, wie du weißt, in der Feature-Redaktion bei Vogue , aber ich bin mir sicher, es würde ihr nichts ausmachen, dich in der Moderedaktion zu erwähnen.«
Dies war einer der schlimmsten Abende ihres Lebens, in gewisser Weise sogar noch schlimmer als der Abend, als Arthur Russell sie beinahe vergewaltigt hatte, denn in der Nacht hatte sie schließlich in Joshs Armen gelegen.
Es war vorbei, der Abend genauso wie ihr armer, dummer, vergeblicher Traum. Josh bat um die Rechnung. Er will bestimmt ganz schnell nach Hause zu Patsy, dachte Rose niedergeschlagen.
38
Ella saß im Fenster ihrer Wohnung in einem der für New York typischen braunen Sandsteinhäuser ohne Fahrstuhl und versuchte, in der stickigen Hitze, die im Juni in Manhattan herrschte, ein wenig frische Luft zu schnappen. Eigentlich sollte sie an einem Artikel für die Weihnachtsausgabe der Vogue mit dem Titel »Kunst schenken« arbeiten. Es ging um Kunstmäzene. Doch wie um alles in der Welt sollte sie an Weihnachten und Schnee denken, wenn ihr wegen der Hitze der Schweiß in Strömen zwischen den Brüsten hinunterrann?
Sie hatte sich vom ersten Augenblick, da sie im Winter ’58 in Manhattan an Land gegangen war, in New York verliebt. In den ersten Monaten hatte sie die Stadt von einem Ende zum anderen erkundet, hauptsächlich zu Fuß – zumindest da, wo es sicher war –, hatte alles über ihre Vergangenheit und Gegenwart gelernt und sich auf den Schwung und die Leidenschaft ihrer Bewohner eingelassen. Temperamentvoll, offen, nassforsch, aber niemals langweilig, vom Broadway bis zur Bronx, vom Central Park bis nach Staten Island, Ella liebte die Stadt mit allem, was sie war, doch vor allem dafür, wie sie sie aufgenommen und ihr Veränderungen aufgezwungen hatte, die sie von einem einst linkischen, sich in seiner Haut nicht recht wohl fühlenden reizlosen Mädchen in die New Yorkerin verwandelt hatten, die sie jetzt war, eine Frau, die für das eintrat, was sie haben wollte, die ein New Yorker Taxi herbeiwinken konnte und sich selbstbewusst kleidete. Sie ging auf Partys ins Studio 8 und in Wohnungen an der Upper East Side, sie aß in der Innenstadt Pastrami auf Roggenbrot, sie nahm im Sommer im Park ein Sonnenbad und lief im Winter auf den zugefrorenen Seen Schlittschuh. Sie fuhr mit der U-Bahn und lief die Straßen der Stadt ab. New York hatte ihr Selbstbewusstsein geschenkt, und dafür hatte sie New York ihr Herz geschenkt. Sie hatte sich so in die Stadt verliebt, dass sie irgendwann sogar ganz vergessen hatte, ihre Diätpillen zu nehmen, um dann festzustellen, dass sie sie nicht mehr brauchte. New York hielt sie schlank, eine gesunde, natürliche Schlankheit, die sie von den traumatischen Erinnerungen an ihr Gewicht erlöste. Ja, sie liebte New York, doch im Augenblick war die Stadt öd und langweilig. Weil Brad nicht da war?
Sie legte ihr Notizbuch zur Seite. Es hatte keinen Sinn, noch arbeiten zu wollen, nicht jetzt, da Brad sich in ihre Gedanken geschlichen hatte.
Sie hätte seine Einladung annehmen und übers Wochenende zu ihm in die Hamptons fahren können. Doch dann hätte er erwartet, dass sie mit ihm ins Bett ging, und das konnte sie nicht.
Sie schloss die Augen. Sie hatte immer schreckliche Angst vor einer möglichen Schwangerschaft und der geistigen Verwirrung gehabt, die ihrer Meinung nach unweigerlich darauf folgte, und hatte deshalb keinen Sex gewollt. Was für eine Ironie des Schicksals, dass die Lösung für all ihre Probleme – die Pille – für sie zu spät gekommen war. Wenn sie früher zur Verfügung gestanden hätte, als
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